Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Letztere stinkt zum Himmel.« 5 Hannah hat den Eindruck, dass die Deutschen sich nach »Hitler ohne Krieg« zurücksehnen und ihnen jeder »Trick« recht ist, um vor der »Realität der Zerstörung« zu fliehen. Entweder sie versinken in Selbstmitleid oder flüchten sich in eine besinnungslose Geschäftigkeit.
In einem späteren Aufsatz über ihren Deutschland-Besuch schreibt sie angeekelt über den deutschen Zwang, »dauernd beschäftigt zu sein«, und das »gierige Verlangen, pausenlos an etwas zu hantieren«. 6 Die Nachwirkungen des totalitären Regimes zeigen sich für sie besonders darin, dass man Meinungen und Tatsachen einfach gleichsetzt. Mit unleugbaren Fakten über das Dritte Reich geht man so um, als handele es sich um bloße Meinungen, die jedem frei stehen und auf die es nicht ankommt.
Die einzige rühmliche Ausnahme in Deutschland sind für Hannah die Bewohner Berlins, wo sie ihren alten Jugendfreund Ernst Grumach besucht. Obwohl die Stadt ein einziges Trümmerfeld ist und noch unter den Auswirkungen der sowjetischen Blockade leidet, findet Hannah die Berliner »großartig, menschlich, humorvoll, klug, blitzklug sogar«. Als sie sich mit dem Auto durch die zerbombte Stadt fahren lässt und sie in der Ostzone an einem Stalin-Plakat vorbeikommen, meint ihr junger Chauffeur, auf die Trümmer ringsum zeigend: »Tja, wir haben bereits so ’nen großen Freund des Volkes gehabt; und das hat er denn seinem geliebten Volk hinterlassen.« 7
Einen solchen nüchternen Sinn für die Gegebenheiten findet Hannah in Deutschland sonst nicht, schon gar nicht bei den Intellektuellen. Sie hat den Eindruck, dass jene auf eine besonders raffinierte Art an der Wirklichkeit vorbeisehen, indem sie nämlich bei jedem Problem nach der wesenhaft-metaphysischen Ursache fragen. Statt die Gründe der Zerstörung um sie herum bei den Nazis zu suchen, gehen sie zurück bis zu den »Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geführt haben« 8 .
Mitte Dezember trifft Hannah bei den Jaspers in Basel ein. Zwischen Karl Jaspers und ihr kommen sofort wieder jene rückhaltlosen Gespräche in Gang, die Hannah so schätzt: »Man denkt nicht: Oh, das sollte ich nicht sagen, es wird ihn verletzen. Das Vertrauen in die Freundschaft ist so groß, dass man weiß, nichts kann verletzend sein.« 9
Natürlich wird auch über Heidegger gesprochen. Jaspers zeigt Hannah die Briefe, die er von ihm bekommen hat. Und Hannah gesteht ihm zu ersten Mal ihr früheres Verhältnis zu Heidegger. »Ach, aber das ist ja sehr aufregend«, meint daraufhin Karl Jaspers.
Nach dem Besuch bei Jaspers hat Hannah eigentlich keine Lust mehr, Heidegger zu sehen, zumal sie gerüchteweise von einer Kampagne gehört hat, die dieser gegen Jaspers angezettelt haben soll. Doch auch wenn sie es sich nicht eingesteht – es scheint sie wie magnetisch nach Freiburg zu ziehen. In Amerika hat sie einen Aufsatz über Heidegger veröffentlicht, in dem sie ihn den letzten »Romantiker« nennt. Ob in dieser abwertend gemeinten Bezeichnung nicht auch etwas von dem Zauber steckt, den Heidegger seit jeher auf sie ausübt? Jedenfalls wendet sich Hannah an Hugo Friedrich, einen Studienfreund aus Heidelberger Tagen, um Heideggers Adresse zu erfahren. Und am 7. Februar 1950 ist sie, aus rein beruflichen Gründen, wie sie beteuert, in Freiburg.
Vom Hotel aus, in dem sie unterkommt, lässt sie Heidegger einen Zettel zustellen, ohne Unterschrift, mit der schlichten Mitteilung: »Ich bin hier«. Gegen halb sieben Uhr abends kommt Heidegger ins Hotel. Er will eigentlich nur einen Brief für Hannah an der Rezeption abgeben, in dem er sie für den Abend in sein Haus einlädt. Doch dann lässt er sich doch bei Hannah anmelden. Als er in ihr Zimmer tritt, steht er, so schildert sie die Szene, vor ihr wie »ein begossener Pudel«. Was in ihr selbst vorgeht, das beschreibt sie in einem zwei Tage später geschriebenen Brief an Heidegger. »Als der Kellner deinen Namen sagte (ich hatte dich nicht eigentlich erwartet, hatte ja den Brief nicht bekommen), war es, als stünde plötzlich die Zeit stille. Da kam mir blitzartig zu Bewusstsein, was ich vorher nicht mir und nicht dir und keinem zugestanden hätte, dass mich der Zwang des Impulses, nachdem Friedrich mir die Adresse gegeben hatte, gnädig bewahrt hat, die einzig wirklich unverzeihliche Untreue zu begehen und mein Leben zu verwirken. Aber eines sollst du wissen hätte ich es getan, so nur aus Stolz, d.h. aus purer reiner
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