Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
bekommst zwei kleine Schmuckstücke«, schreibt sie an Hannah, »die dir bestimmt stehen.« 11
XX. Abschiede
»Der Umgang mit den Toten – das will gelernt sein.«
Im Februar 1967 beginnt für Heinrich Blücher das letzte Semester am Bard College. Danach will er in Pension gehen. Am Semesterende hält er eine Schlussvorlesung für den Common Course, einen philosophischen Grundkurs, den er selbst am Bard College eingeführt hat. Er spricht über Sokrates, mit dem er sich seelenverwandt fühlt, auch deswegen, weil es dem griechischen Philosophen wichtiger war, mit den Leuten auf dem Marktplatz zu reden, als große Werke zu hinterlassen.
Für Sokrates, so führt er aus, waren die Beziehungen zu Menschen das Wichtigste, und er unterschied hier drei Arten: die Beziehung zu sich selbst – die Philosophie; die Beziehung zu anderen Menschen – die Erotik; und die Beziehung zur Menschheit – die Politik. Für Heinrich Blücher gehören alle drei Bereiche zusammen, keiner darf sich unabhängig von den anderen entfalten und immer muss der Mensch im Mittelpunkt bleiben. »Wir sind nur zu bereit gewesen«, meint er, »das Leben für alle möglichen Sachen zu opfern, die angeblich höher stehen als der Mensch, und das Resultat ist nicht besonders; es ist Nihilismus. Der erste Schritt, um aus dieser Lage herauszukommen, ist, mit dem anzufangen, was Sokrates als Erster getan hat: zu philosophieren und zu prüfen, wer der Mensch ist und was er werden kann.« 1
Heinrich Blücher ist bei seinen Studenten beliebter denn je. Und das ist wohl auch der Grund dafür, warum er es mit seiner Pensionierung nicht so genau nehmen will. Er lässt sich dazu überreden, im September wieder nach Bard zu kommen und Vorlesungen zu halten. Aber mit Verwaltungsaufgaben will er nichts mehr zu tun haben. Er hat vor, sein neues Leben als Pensionär zu genießen und viel Zeit zu Hause und mit Reisen zu verbringen.
Hannah will sich Heinrichs neuer Situation anpassen. Darum hat sie sich entschieden, das Angebot der »New School for Social Research« in New York anzunehmen und dort ab Februar 1968 ein Semester im Jahr zu unterrichten. Es fällt ihr nicht leicht, von Chicago wegzugehen. Die Studenten dort sind ihr ans Herz gewachsen. Aber sie will einfach nicht mehr länger zwischen New York und Chicago mit dem Flugzeug hin-und herpendeln und wochenlang von Heinrich getrennt sein.
Ende März 1967 fliegt sie nach Chicago, zu ihrem letzten Semester dort. Ihre Studenten holen sie vom Flughafen ab, sie wird auf Partys eingeladen und man drängt sie dazu, zusätzliche Seminare zu halten, sogar am Sonntag. Die Studenten schätzen sie als Lehrerin, trotzdem oder gerade weil sie auch sehr unerbittlich in ihrem Urteil sein kann. Einem jungen Mann beispielsweise, der bei ihr seine Doktorarbeit eingereicht hat, gab sie das sorgfältig korrigierte Manuskript mit der Bemerkung zurück: »Nun, mein Lieber, wenn das stimmen würde, dann wäre es revolutionär, aber ich fürchte, es ist schlicht falsch.« Die Studenten in Chicago wollen Hannah nicht so einfach ziehen lassen. Sie muss versprechen, im Herbst noch einmal zu kommen, zu einem Kompaktseminar.
Im Juni haben Hannah und Heinrich ihre Kurse hinter sich. Hannah sitzt in der Wohnung am Riverside Drive und hört gespannt die neuesten Radiomeldungen aus Israel. Die Israelis haben nach massiven Kriegsdrohungen arabischer Staaten, vor allem von Seiten des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, einen Überraschungsangriff gestartet. Am S. Juni überflogen israelische Flugzeuge die Grenze nach Ägypten und zerstörten einen Großteil der ägyptischen Luftwaffe am Boden. In den folgenden Tagen erringt die israelische Armee auch Siege gegen Jordanien und Syrien. Nach diesem so genannten »Sechstagekrieg« haben die Israelis auf der ganzen Linie gesiegt und große Landstriche erobert. Die israelische Bevölkerung ist im Freudentaumel. Und Hannah teilt diese Freude. »Das haben die Israelis wirklich hervorragend gemacht«, meint sie. Und sie entschließt sich, bei ihrer für den Sommer geplanten Europa-Reise auch einen Abstecher nach Israel zu machen.
Mitte Juli fliegen Heinrich und sie nach Zürich und von dort weiter nach Basel, wo sie die Jaspers besuchen. Karl Jaspers kann sich mittlerweile nicht mehr ohne Schmerzen bewegen. Er hat sich Schreibtisch und Schreibtischstuhl erhöhen lassen, damit das Hinsetzen und Aufstehen für ihn mit weniger Beschwerden verbunden ist. Hannah berührt es unangenehm, dass
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