Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
Vom Netzwerk:
er seine Gebrechlichkeit überspielen will. Auch das Gespräch ist schwierig, weil Jaspers kaum noch etwas hört.
    Jaspers hat sich bis vor drei Jahren immer wieder Notizen zu Martin Heidegger gemacht. In seiner letzten Notiz aus dem Jahr 1964 bezeichnet er Heidegger als »mein höflicher Feind«. Und er schreibt weiter: »Denn die Mächte, denen wir dienten, waren unvereinbar. Bald schien es, dass wir gar nicht miteinander sprechen konnten. Die Freude wurde zum Schmerz, zu einem eigentümlich trostlosen, als ob eine Möglichkeit versäumt würde, die greifbar nah war.« 2
    Hannah Arendt verspürt einen ähnlichen Schmerz wie Jaspers. Aber für sie ist das Kapitel Heidegger noch nicht abgeschlossen. Und sie möchte keine Gelegenheit versäumen, sich mit ihm doch noch auszusöhnen. Trotz der letzten Verstimmungen fährt sie nach Freiburg. Heidegger hat ihr zum sechzigsten Geburtstag eine Glückwunschkarte und ein Gedicht mit dem Titel Herbst geschickt. Sie nimmt das als günstiges Zeichen. Außerdem hat sie Heidegger mit ihrem Freund Glenn Gray, einem Philosophie-Professor, in Verbindung gebracht, der die englischsprachige Ausgabe von Heideggers gesammelten Werken betreuen soll.
    Heidegger ist erfreut über ihren Besuch. Er ist achtundsiebzig Jahre alt und in Abschiedsstimmung. Hannah sitzt mit ihm in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses im Rötebuckweg 47 in Freiburg. Heidegger schenkt ihr ein Exemplar seines neuesten Buches Der Ursprung des Kunstwerks mit der handschriftlichen Widmung: »Für Hannah zur Erinnerung an unser Wiedersehen, Martin, Frg., 27. Juli 1967.« Hannah wäre gerne länger mit ihm allein. Aber immer muss Elfride Heidegger stören. Sie lässt sich auch anmerken, wie unmöglich sie es findet, dass Hannah mit ihren Zigaretten alle Räume voll qualmt. Doch Hannah macht gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich will sie Heidegger noch öfter sehen und sie weiß, dass dabei kein Weg an seiner Frau vorbeiführt. Zum Abschied beschließen die beiden Frauen sogar; sich zu duzen. Und Hannah verspricht, im nächsten Jahr wieder zu kommen – dann mit ihrem Mann Heinrich.
    Bevor sie mit Heinrich am 30. August wieder in die Staaten zurückreist, fliegt Hannah allein für eine Woche nach Israel. Sie lässt sich von ihren Verwandten jeden Tag von früh bis spät durchs Land fahren, inoffiziell, damit die Presse nichts von ihrem Aufenthalt erfährt. Im Gegensatz zu ihren früheren Besuchen fühlt sie sich dieses Mal »richtig wohl«. »Und was das Land selbst anlangt«, schreibt sie an Jaspers, »so merkt man deutlich, von einer wie großen Angst sie plötzlich befreit sind. Das trägt entschieden zur Verbesserung des Nationalcharakters bei.« 3
    Heinrich zuliebe, der immer noch widerwillig ein Flugzeug besteigt, reisen die beiden mit dem Schiff von Genua aus nach Amerika zurück. Die lange Seefahrt hat für Heinrich ein »dickes Ende«. Er bekommt eine Venenentzündung und muss sich zu Hause in New York gleich hinlegen, mit hochgelagertem Bein. Hannah findet, er sehe aus wie eine Karikatur: »Älterer Herr mit Gicht.« Heinrich selbst fühlt sich an Charlie Chaplin in einem seiner Filme erinnert. Was ihn allerdings betrübt, ist, dass er sein Versprechen, noch einmal an das Bard College zu kommen, nicht einhalten kann. Hannah würde liebend gern zu Hause bleiben und Heinrich pflegen. Doch sie muss ein letztes Mal nach Chicago. Vorher aber bekommt sie noch Besuch von Mary McCarthy.
    Mary hat ihr Vietnam-Abenteuer unversehrt überstanden und die Reportagen über ihre Reise sind bereits erschienen. Im Sommer hat sie sich zusammen mit ihrem Mann James West ein Haus in Castine im Bundesstaat Maine gekauft. Es soll für das Ehepaar, das nach wie vor die meiste Zeit des Jahres in Paris verbringt, ein zweiter Wohnsitz in Amerika sein.
    Mary will sich noch stärker gegen den Vietnam-Krieg engagieren, der zu einem gigantischen Vernichtungskrieg ausgeartet ist. 486 000 amerikanische Soldaten befinden sich Ende 1967 in Vietnam. Es wird mehr Sprengstoff auf das Land abgeworfen als an allen Fronten des Zweiten Weltkriegs zusammen. Das Resultat sind zerbombte Städte, von Chemikalien entlaubte Wälder, Millionen von Flüchtlingen – und fanatisierte Nordvietnamesen, deren Durchhaltewillen der amerikanische Bombenterror nur noch zu verstärken scheint.
    Mary McCarthy reist noch einmal nach Vietnam, im März 1968. Dieses Mal in die nordvietnamesische Hauptstadt Hanoi. Als sie im Mai wieder nach Paris zurückkommt,

Weitere Kostenlose Bücher