Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
markanter waren, als sie zuvor bemerkt hatte. Dennoch gefiel er ihr vorher besser.
» So, findest du?« Er legte das Rasiermesser auf die Ablage neben dem Waschbecken und trat blitzschnell an sie heran.
» Ja, finde ich.«
» Das war die falsche Antwort«, feixte er und umschloss ihre Taille bevor sie vor ihm zurückweichen konnte. Crevi jauchzte auf, als er sie mit Leichtigkeit über seine Schulter legte.
» Runter lassen, sofort!«, verlangte sie lachend, während sie mit den Fäusten halbherzig auf seinen Rücken einschlug.
Schnell stellte sie fest, was er vorhatte . »Nein, halt! Warte, ich nehme alles zurück…«, behauptete sie und konnte dennoch nicht verhindern, dass sie dabei einfach lächeln musste.
Unbeirrt schob er den Vorhang zur Dusche bei Seite und drehte , bevor sie seine Hand zurückhalten konnte, den Wasserhahn auf. Erschrocken quiekte sie auf, als sich das eisig kalte Wasser über sie ergoss.
» So, das hast du jetzt davon.«
Voll gespielter Verzweiflung suchte Crevi sich aus seinen Armen zu befreien, was dazu führte, dass Vlain, Schwäche vortäuschend, das Gleichgewicht verlor und sie gemeinsam nebeneinander mitten unter dem Brausekopf landeten. »Bleiben Sie bei Ihrer Meinung, Miss Sullivan?«, fragte er sie und strich sich das triefnasse Haar aus dem Gesicht.
» Glaubt du etwa, ich bin so leicht umzustimmen?« Sie wollte vor ihm zurückweichen, als er erneut nach ihr griff, doch etwas ließ sie inne halten.
Seine Hand stoppte ebenfalls.
Ganz, ganz vorsichtig strich er über ihre Wange und zog sie zu sich heran. Ihre Nasenspitzen berührten sich, sein Atem streifte ihr Gesicht und wie in einer stummen Frage legte er den Kopf auf die Seite. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er den letzten Abstand zwischen ihnen verringerte. Dann küsste er sie. Warm und weich verschmolzen ihre Lippen miteinander. Wieder und wieder, als wollten sie, dass der Augenblick niemals ende. Atemlos ließen sie schließlich voneinander ab.
Crevi brachte kein Wort hervor. Vlain schien ebenso sprachlos wie sie, doch dann räusperte er sich zurückhaltend. »Crevi…« Wieder hörte sie diese Melodie, die nur er ihrem Namen verleihen konnte. »Du bist alles, was ich mir je wünschen könnte. Seit du da bist, hat alles irgendwie einen Sinn.« Er suchte etwas hilflos nach weiteren Worten. »Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll. Alles, was ich weiß ist…dass ich dich brauche. Ich empfinde so viel mehr für dich, als ich ausdrücken könnte.« Unbeholfen hielt er inne und zupfte an seinem Hemd herum, das ihm nass an der Haut klebte. »Es ist viel zu einfach ausgedrückt, aber…diese Worte beschreiben es wohl am besten. Crevi, ich liebe dich.«
Ihr Mund öffnete sich, aber nichts Sinnvolles kam über ihre Lippen. Der Moment war schlicht überwältigend . »Ich dich auch«, stammelte sie gerührt und statt vieler Worte warf sie sich stürmisch in seine Arme.
Sie merkte nicht einmal, wie Vlain die Dusche wieder abdrehte. Die ganze Welt schien auf einen einzigen Menschen geschrumpft. Nichts anderes hatte länger Bedeutung. Es tat so gut in seinen Armen zu liegen, ihn bei sich zu wissen.
Erst ein energisches Klopfen an der Tür riss sie in das Badezimmer der Moores zurück. Eine Kinderstimme rief etwas, das sie noch ganz berauscht nicht recht verstehen konnte.
» Emmy«, sagte Vlain nur. Bevor er aufstand, um nach dem Mädchen zu sehen, gab er ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
Und als sie sich ebenfalls aus der Dusche stemmte, wusste sie, dass Vlain Moore ihr sein Herz schon viel länger geschenkt hatte, als sie jemals vermutet hätte.
15. Menschenfresser und Seelendiebe
Habe ich erwähnt, dass ich Überraschungen zutiefst verabscheue? Wenn nicht, tue ich dies jetzt. Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob es etwas Schlimmeres gibt, als von etwas unvorbereitet getroffen zu werden, das einem plötzlich den gesamten Plan und gut überlegte Worte durcheinander bringt.
So jedenfalls erging es mir heute.
Es war ungewöhnlich stürmisch und regnerisch für diese Jahreszeit. Eigentlich hätte man annehmen sollen, die Regengüsse würden noch etwas auf sich warten lassen. Aber anscheinend hatten sie sich eben diesen Tag auserkoren, um uns die Laune zu verderben.
Mein Schatten und ich trafen uns an einer Haltestelle, die man Ratteneck nennt. Oft hatte ich mich gefragt, ob der Name irgendeinen tieferen Sinn besäße, doch als ich heute auf meinem Weg dorthin einer fetten Ratte begegnete, die mich aus
Weitere Kostenlose Bücher