Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
Geist eines anderen zu wandeln.
Also worauf wartete ich?
Ich gab Vlain ein kaum merkliches Zeichen, sich bereitzuhalten, was er mit einem knappen Nicken quittierte.
Voller Anspannung machte ich mich bereit. Routiniert löste sich mein eigener Geist aus dem tiefen Inneren meiner Seele und machte sich zum Sprung bereit.
Dann geschah alles ganz schnell. Geschwind verließ ich mein Bewusstsein und tauchte in die Sphäre des Dämons neben mir ein. Schlagartig wechselte die Welt ihren Blickwinkel.
Vlain starrte auf den Rücken des Uniformierten, der direkt vor ihm ging. Es war derjenige, der abfällig bekundet hatte, dass es sich bei uns um Dämonen handele. Derjenige, den er ins Auge gefasst hatte zu töten.
In stiller Aufregung konnte er es kaum erwarten, dem Kerl an die Kehle zu springen. Es juckte ihn in den Fingern, da er wusste, dass es nur noch wenige Sekunden dauern würde. Dennoch schien es die Ewigkeit für seinen Dämon, der bereits voller Gier und Entzückung über das baldige Mahl laut aufschrie.
»Jetzt«, flüsterte ich leise.
Und Vlain machte einen Satz nach vorne. Blitzschnell. Viel zu schnell, als dass der Gardist auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte. Hemmungslos brutal packte er den Mann von hinten, riss ihn halb zu sich herum und grub die Zähne tief in seinen Hals hinein. Keine Gelegenheit für den Mann zu schreien. Zügellos saugte er das Blut aus dem toten Körper, dessen Geschmack er vollkommen auskostete.
Beinahe erfüllte dieser Moment seinen perfiden Verstand mit Glück, doch dabei blieb es. Eben nur beinahe. Zu groß war noch immer das Loch in seiner Brust, das jedes Gefühl der Freude, stumpf und unecht wirken ließ. Stattdessen war dort nur Leere und Schmerz und Hass. Beim Unbefleckten, wäre es nach Vlain gegangen, wäre er schon über alle Berge und Crevi weit hinter sich, wo er sie vergessen könnte. Doch der Rat stand an erster Stelle. Alle dienten wir ihm, alle gehorchten wir ihm, alle unterwarfen wir uns ihm. Er hatte einen Auftrag zu erledigen...oder dessen Erledigung zumindest weiter vorzutäuschen. Crevis ausdrucksloses Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf und ließ ihn noch wütender werden.
Worauf eigentlich? Wirklich auf Crevi? Oder doch auf den Rat?
Mit einer ruckartigen Bewegung riss er dem Seelendieb den Kopf von den Schultern.
Abrupt wandte er sich von dem Toten ab, sah über die Schulter zu mir.
Der zweite Gardist lag ebenso tot und blutleer wie der andere mitten im Gang. Die letzten Reste des kostbaren Lebenssaftes sickerten aus den grausigen Wunden in die roten Teppiche und hinterließen dunkle Flecken.
Vlain schwindelte. Nur kurz.
Denn die schemenhafte Bewegung am Rande seines Blickfelds riss ihn in die Gegenwart zurück. Die Frau, die wohl die Bibliothekarin war, stand stocksteif auf der Stelle. Dann stolperte sie rückwärts, ganz zaghaft und starrte Vlain dabei an, als wäre er ihr schlimmster Albtraum.
Langsam richtete er sich auf und schlich auf sie zu, ließ seiner Kehle dabei ein tiefes Grollen entweichen.
Ehe er sie jedoch erreichte, wurde sie von einem schwarzen Schatten verschluckt, der sich von oben auf sie stürzte. Ein abgehacktes Kreischen entwich ihr.
Oh , nur langsam begann sein menschlicher Verstand zu arbeiten. Was…? Adrian!
Geduldig wartete er ab, bis ich mit dem Leichnam der Bibliothekarin fertig war, dann räusperte er si ch geräuschvoll, woraufhin ich in seine Richtung blickte. »Du hättest noch was von ihr übrig lassen können«, sagte Vlain, bevor er richtig wusste, was er da sagte.
Ich zog eine Augenbraue hoch.
»Ich wollte nur andeuten, dass du dir ständig die Beute unter den Nagel reißt, ohne mal daran zu denken, mir etwas abzugeben«. Wie lächerlich! Wie kam er dazu, sich über seinen Beuteanteil nach einer Bluttat zu beschweren? »Aber ist schon in Ordnung.«
Wo war seine Menschlichkeit?
»Du hast dich ganz von selbst untergeordnet«, meinte ich. Ich ließ die tote Miss Howel zu Boden fallen und stieg achtlos über ihre Leiche hinweg.
Plötzlich überkam Vlain ein Gefühl des Trostes, wenn es auch nur ein Gedanke war. Würde Crevi Adrian so sehen, wäre von Vertrauen auch nicht mehr die Rede. Vielleicht war es selbstsüchtig. Vielleicht war es hämisch, sich an dieser Tatsache zu freuen, aber es half Vlain, sich nicht mehr ganz so elend zu fühlen.
» Wie gesagt, schon okay«, betonte er noch einmal. Er fragte sich, wann ich meinen Dämon wohl zurückdrängte. Für gewöhnlich besaß
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