Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
viel Zeit darüber nachzudenken. Die beiden Bewaffneten traten an uns heran und flankierten uns von beiden Seiten . »Wir werden Sie zum Direktor bringen, er wird wissen, wie mit Bandenmitgliedern zu verfahren ist, die sich als Gardisten ausgeben. Leisten Sie Folge?«
Die Frage war gänzlich überflüssig, wie ich fand.
»Wir gehören nicht der Bande an!«, protestierte ich, als der eine von ihnen nach meinem Arm griff, und wich ihm reflexartig aus. Mit dämonischer Schnelligkeit, wie ich leider zu spät bemerkte.
» Und wenn es so wäre, was wäre so widerwärtig daran?«, knurrte Vlain, dem die unterschwellige Verachtung der beiden Seelendiebe wohl ganz und gar nicht gefiel.
Ich bat ihn mit einem flehentlichen Blick, zu schweigen und die beiden Männer nicht weiter zu erzürnen. Zögernd leistete er meine r Bitte Folge.
Der Uniformierte wiederholte die Frage noch einmal, ganz ruhig : »Leisten Sie Folge?«
Oder…?
Oder was?
Sollten wir tatsächlich Böses im Schilde führen, würden wir uns wohl kaum auf derartige Diskussionen einlassen! Wie unsinnig, uns aus einer Laune heraus dem Direktor vorführen zu wollen! Wenn wir denn gewollt hätten, hätten wir das Spielchen vermutlich ohne große Schwierigkeiten für uns entscheiden können.
»Wir ergeben uns«, murmelte ich die Antwort, die die Männer wohl erwarteten und ließ mir die Hände auf den Rücken legen und mich neben Vlain den Flur entlang führen. Miss Howel begleitete uns, wenn sie auch sicheren Abstand hielt.
Vlain war anzusehen, dass es auch ihm nicht passte, den Seelendieben nachzugeben. Vielleicht sollten wir es doch wagen?
Fast hätte ich kurz aufgelacht, wenn ich mir vorstellte, dass wir unartigen Schülern gleich ins Büro des Direktors geführt werden sollten.
Zwei Seelendiebe. Eine…Frau.
Wenn auch nicht abzusehen war, welche Fähigkeiten die Frau möglicherweise besaß.
Im Grunde genommen keine Herauforderung.
Ich seufzte innerlich. Bereits jetzt ahnte ich, welch e Gewissensbisse mich später heimsuchen würden, wenn ich meine Fähigkeiten nun gezielt einsetzte, um Menschenleben zu beenden. Im Rausch des Blutes oder des Verlangens, wenn die letzte Nahrungsaufnahme lange Zeit zurücklag, war es…in Ordnung. Aber wenn es aus freiem Willen geschah? Nimmer würde ich mich damit anfreunden können. Daher vermied ich es für gewöhnlich, gar in Versuchung zu geraten.
Artig gingen wir zwischen unseren Wächtern. Mordgedanken nachhängend? Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie entsetzt Aimee darauf reagiert hätte. Sie hätte es nicht glauben können, nicht wahrhaben wollen. Ganz ähnlich, wie es Crevi ergangen war, als sie erfahren hatte, dass Vlain nicht nur ein Mörder war, sondern sie als Opfer auserkoren hatte.
Warum schwierig, wenn’s auch einfach geht? Diese Frage stellte ich mir. Wieso wartete ich ab, wenn ich der misslichen Lage in nur wenigen Sekunden entkommen könnte?
Edle Menschen, erinnerte ich mich, waren dieje nigen, die den schwierigen Weg an einer Abzweigung wählten. Schmutzig waren jene, die den einfachen Pfad beschritten.
Meine Entscheidung war gefallen.
War ich eben kein edler Mensch.
Leichen, dachte ich, ließen sich leichter beseitigen, als weitere Lügen aufzutischen.
Zweifelnd musterte ich Vlain, der dreinblickte, als habe er nur auf meine Entscheidung gewartet.
Seelendiebe töt en bevorzugt, indem sie in den Geist eines anderen Menschen eindringen und ihn in Windeseile durcheinander bringen. Sie zerstören Erinnerungen, löschen Gefühle aus und lassen die gebrochene Seele in einem so kümmerlichen Zustand zurück, dass der Besitzer nur wenige Sekunden darauf handlungsunfähig wird und stirbt.
Eine niederträchtige Art des Tötens.
Doch ist nicht jede Art des Mordes niederträchtig zu nennen?
Jedenfalls durfte ich davon ausgehen, dass die beiden Gardisten sich auf diese Weise zu verteidigen gedachten, sollten wir ihnen Ärger bereiten. Mein eigener Geist war geschützt, darum brauchte ich mich nicht zu sorgen. Schließlich beherrschte ich die Kunst des Seelendiebstahls selbst.
Vlain hingegen würde meinen Schutz benötigen. Nicht weiter schwierig. Ich kannte seine Seele bereits, war oft genug in seine Gedankensphäre eingedrungen und nichts anderes erwartete mich jetzt. Solange sich ein Seelendieb im Geiste eines Wirts befand, war es einem zweiten nicht möglich, zur gleichen Zeit dort einzudringen.
Es sollte mir gelingen, meine eigene Barriere aufrecht zu erhalten und gleichzeitig im
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