Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
bedächtig, damit niemand auf sie aufmerksam würde. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich gegen den Türrahmen . »Reden.«
Er hätte schwören können, dass er einen Funken Angst in ihren Augen hatte aufblitzen sehen, als das Schloss hinter ihm einrastete.
»Mit mir?«
» Siehst du hier sonst noch jemanden, Miss Sullivan?«
Sie schüttelte den Kopf . »Nein. Also was ist?«
Der Wind pfiff leise durch die Ritzen der Fensterläden und brachte die Stoffbahnen der Gardinenüberreste hinter Crevi zum flattern. Kälte kroch über den Fußboden und brachte seinen Körper zum Erbeben.
Es war eine perfekte Nacht.
Er fuhr sich durch die Haare und versuchte , die Müdigkeit loszuwerden, die ihn später nur behindern würde. »Diese verfluchten Beruhigungsmittel. Dein Freund hätte sich wirklich etwas Besseres einfallen lassen können.«
» Mein Freund?«
» Der Dieb.«
» Was soll das heißen?«
» Oh, gar nichts.«
» Vlain!«, fuhr sie ihn an.
» Schon gut. Er hat versucht, mich um die Ecke zu bringen, nehme ich an.«
Er genoss das Entsetzen in ihrem Blick ebenso sehr, wie er es in jenem Moment der Offenbarung verabscheut hatte.
»Du nimmst es an?«
» Ganz genau.«
Sie senkte die Stimme . »Vlain, was willst du mir damit sagen?«
» Es tut mir so leid, Crevi.«
Er trat einen Schritt an sie heran. Ein ganz klein wenig lauernd. Er war sich ziemlich sicher, dass keine Entschuldigung der Welt das aufwiegen konnte, was er ihr angetan hatte. Ganz zu schweigen von dem, was er ihr nun antun würde.
Sie starrte ihn an.
Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Vlain wusste das natürlich. Vielleicht hatte Ennyd ihm doch einen größeren Gefallen tun wollen, als er zunächst angenommen hatte.
Schlaftabletten , dachte er nachdenklich. So dumm ist der Dieb gar nicht.
Noch immer schmeckte er den fahlen Nachgeschmack des Tees auf der Zunge und das kaum merkliche Aroma der Schlaftabletten, die jemand zuvor in dem heißen Getränk aufgelöst hatte. Da niemand anders als Ennyd dafür in Frage kam…hatte sich der Rest erübrigt. Entweder hatte der Mann Crevi vor ihm schützen oder ihn umbringen wollen.
Wie dem auch sei. Letztendlich hatte Ennyd in jeglicher Hinsicht versagt.
Vlain war quicklebendig – und entschlossener denn je.
Fast war ihm, als hätte sich die Ansammlung all der Zweifel urplötzlich verflüchtigt und nur einem einzigen klaren Gedanken Platz gemacht. Er war sich sicher, dass das, was er tat, das Richtige war.
Die Nacht war perfekt.
»Was machst du hier?«, fragte Crevi schließlich nach mehreren Sekunden des Schweigens.
» Weißt du, viele Dinge sind nicht, wie sie zu sein scheinen«, flüsterte er.
» Was…?«
» Ich wollte dir etwas mitteilen.« Er löste sich aus dem Schatten des Türrahmens und schlenderte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf sie zu. »Ich habe beschlossen, nicht noch einmal den gleichen Fehler zu begehen. Ich möchte von nun an ehrlich mit dir sein.«
» Warum sagst du das?«, entgegnete sie.
» Weil es die Wahrheit ist. Ich möchte nicht, dass es so endet.«
Vlain blieb wenige Meter von ihr entfernt stehen und betrachtete sie in Gedanken versunken. Plötzlich kamen ihm tausend Dinge in den Sinn, die er ihr sa gen wollte. Wie sehr er sie vermisste, wie sehr er sich nach ihrer Nähe sehnte. Wie schwer es ihm fiel, sich Tag um Tag von ihr fern zu halten. Wie unerträglich es war, zu wissen, dass es nie wieder so sein würde, wie zuvor.
Doch letztendlich sagte er nichts von alledem.
Er hatte das Gespräch aus einem einzigen Grund gesucht.
Und dieser war nicht, um ihr Mitleid und ihre Gnade zu erbetteln.
»Ist es denn bereits vorbei?«
Vlain runzelte die Stirn. Ahnt sie etwas? Sein Verstand versicherte ihm, dass dies nicht der Fall sein konnte. Schließlich hatte er sich selbst erst vor wenigen Minuten dafür entschieden.
Er legte den Kopf ein wenig schräg und verharrte. Crevi war so wunderschön. Es wäre eine Schande… Wie kannst du nur, Vlain , schüttelte er über sich selbst den Kopf. Es würden andere nach ihm kommen. Welchen Sinn hatte es also, das Ganze noch länger hinauszuzögern?
» Crevi, ich möchte, dass du weißt, dass es nicht deine Schuld ist.« Bevor sie etwas sagen konnte, legte er ihr einen Finger auf die Lippen. »Es ist nicht gut so, wie es ist. Es liegt nun einmal in der Natur der Welt, dass wir, wenn wir etwas Neues erschaffen, etwas anderes dabei zerstören und genau das hat dein Vater getan. Er
Weitere Kostenlose Bücher