Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
er mit der Hand nach seiner Kehle tastete. Eine klebrige Flüssigkeit sickerte zwischen seinen Fingern hindurch und färbte seinen Hemdkragen in Sekundenschnelle dunkelrot. Er fuhr sich in den Nacken und verschmierte das Blut nachdenklich zwischen den Fingerkuppen.
» Gar nicht übel, ein glatter Durchschuss.«
Bevor Irrwig einen zweiten Schuss abgeben konnte, trat Vlain an ihn heran, schlug ihm die Waffe aus der Hand und ließ sie mehrere Meter weit über den Boden schlittern. »Schluss damit. Wo ist…?«
» Direkt vor Ihnen«, spie Irrwig ihm entgegen. Vlain wischte sich mit dem Handrücken die Spucke ab. »Sehen Sie ruhig hin, los tun Sie es!«
Mehrere Sekunden verstrichen. Vlain starrte ihn an und Irrwig starrte zurück, konnte sich in seinem schraubstockartigen Griff jedoch keinen Zentimeter rühren . »Ah«, machte Vlain schließlich, als er erkannte, worauf der Professor hinaus wollte. Fast liebevoll schloss er dem Mann den Mund. »Raffiniert, wirklich. Die Perle in Ihrem Zahn zu verstecken. Krank, aber raffiniert. Dann wollen wir doch mal sehen, wie willig Sie sich die Zähne ausschlagen lassen.«
» Aber zuerst wollen wir sehen, wie Sie das hier erklären werden, Mr. Moore«, erklang eine kühle Frauenstimme hinter ihm. »Lassen Sie den Professor los. Auf der Stelle.«
Vlain erstarrte. Blinzelte überrascht.
Die Frau schien gewohnt, Befehle zu erteilen. Ebenso, dass man ihr augenblicklich gehorchte. Darin bestand kein Zweifel, als sich nur wenig später eine Messerklinge scharf an Vlains Kehle drückte.
Er löste sich von Irrwig.
Die Klinge verschwand.
Von allen Gesichtern, die ihm in den Sinn kamen, hätte er dieses, in das er nun blickte, am allerwenigsten erwartet . »Miss Bostwick«, entwich es ihm und mit einem Mal fühlte er sich kraftlos und müde. Endete dieser Irrsinn denn nie?
Am Rande registrierte er, wie der Mann, der ihn bedroht hatte, sich zurückzog und dem Professor auf die Beine half.
»Was fällt Ihnen ein, unbefugt in die Universität einzudringen, zwei Gardisten und die arme Miss Howel zu ermorden und als Höhepunkt auch noch Professor Irrwig zu bedrohen?«, verlangte Miss Bostwick zu wissen. Ihre eisigen Augen musterten ihn voller Feindseligkeit. »Von dir ganz zu schweigen, Adrian.«
Vlain brauchte ein wenig, um das Überraschungsmoment zu überwinden. Fasste sich jedoch verhältnismäßig schnell.
So leicht gab er sich nicht geschlagen!
Er setzte ein geschäftliches Lächeln auf und verbeugte sich : »Entschuldigen Sie vielmals, wenn wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet haben, Miss Bostwick. Aber… ich tue nur meinen Job. Sie wissen schon. Leute beseitigen. Sie bedrohen, ihnen wehtun, sie foltern und quälen, Informationen erzwingen, mit allem drum und dran. Und zu guter letzt: sie umbringen. Danach kann man sie gegebenenfalls noch ausnehmen. Das Übliche eben.«
Eine bedeutungsschwangere Pause folgte . »Dafür werde ich schließlich bezahlt! Und ich kann nicht anders, als anzumerken, dass Sie mir bei meiner Arbeit im Weg stehen. Aber seien Sie unbesorgt, ich werde es Ihnen nachsehen. Ich schätze, das Ganze lässt sich aufgrund dieser unwillkommenen Unterbrechung auch später fortsetzen. – Guten Tag, Miss Bostwick.«
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, hob er das Pergament auf, das Irrwig ihm gegeben hatte und steckte es in seinen Mantel . »Komm, Adrian«, wandte er sich an mich. Und zu zweit schlüpften wir durch die vertäfelte Holztür des Arbeitszimmers und traten auf den Gang hinaus.
Zurück im Unterschlupf wurden Neuigkeiten ausgetauscht. Vlain versicherte sich vorsichtshalber, dass uns niemand gefolgt und die Tür zum alten Wachturm fest verschlossen war, während Yve, Jayden und ich die Fenster abdichteten und sie mit Brettern verbarrikadierten, um jedes gesprochene Wort von der Außenwelt abzuschirmen und den Raum vor neugierigen Blicken zu schützen.
Die Angelegenheit war zu ernst, um das geringste Risiko einzugehen. Nachdem sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren, schenkte Ennyd den zuvor gekochten Tee ein und wir nahmen in unserem Deckenlager auf dem Fußboden platz, das sich durch die gesamte Küche erstreckte. Draußen war es bereits dunkel, der Himmel war nach wie vor von Wolken verhangen und der Regen peitschte unaufhaltsam gegen das klirrende Glas.
Im Vergleich dazu, wirkte die kleine Küche, einmal abgesehen von den Wasserflecken an der Decke und dem stetigen Tröpfeln des Regenwassers, das in einem
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