Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
auf ihn zu.
Er erstarrte, ließ sie abrupt los. Brauchte mehrere Sekunden, um zu registrieren, was vor sich ging. Entschied sich dazu, zu schreien, um Hilfe zu rufen. Öffnete den Mund. Vlain fiel es nicht schwer , die Gedanken des Opfers zu verfolgen. Jahrelange Übung…
Bevor ihm jedoch ein Ton entwich, riss Yve ein Bein nach oben und rammte ihm das Knie mit voller Wucht in den Magen. Er klappte zusammen, krümmte sich hustend auf der Straße. Blitzschnell verpasste die Rebellin ihm einen weiteren Haken unter dem Kinn, diesmal mit der Faust, der ihn bewusstlos zu Boden schickte.
»So, das wäre erledigt«, sagte sie nur. Ein wenig pikiert betrachtete sie die aufgeschürfte Haut an ihren Fingerknöcheln, ließ die Hand dann achtlos sinken.
» Sieht so aus, als hättest du uns gar nicht gebraucht«, stellte Vlain fest.
Yve grinste frech . »Wie wär’s dann, wenn ihr euch zumindest jetzt nützlich macht?« Sie stieß Irrwig vorsichtig in die Seite, um sich davon zu überzeugen, dass er noch immer bewusstlos war. »Na los, noch rührt er sich nicht.«
Ich ging in die Hocke und holte zwei robuste Seile hervor, mit denen ich dem Mann die Hände fest auf den Rücken fesselte. Vlain machte sich unterdessen daran, ihn mit einem Taschentuch zu knebeln und zog ihm abschließend einen Kartoffelsack über den Kopf. »Zufrieden?«
» Jetzt muss ihn nur noch einer von euch bis zu unserem Unterschlupf schleppen.« Yve verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
Schließlich erbarmte ich mich, diesen Part zu übernehmen.
»Was für eine Gehirnwäsche hat Liwy dir eigentlich verpasst?«, fragte Vlain sie scherzend, nachdem wir bereits durch die Schatten zwischen den Straßenlaternen gehuscht und uns auf halbem Weg zum Wachturm befanden.
Argwohn blitzte für einen Sekundenbruchteil in ihren schmalen Augen auf . »Das ist nicht komisch.«
» Gut, du hast recht«, räumte er ein, als er feststellte, dass Yve nicht nach Scherzen zumute war. Ihre Laune schien eine jähe Wendung zu nehmen. »Was wollte sie von dir?«
» Mich auf ihre Seite ziehen, sonst nichts.«
» Und hast du eingewilligt?« Er gab seiner Stimme den Klang von Unbekümmertheit, als interessiere ihn ihre Antwort gar nicht wirklich. In Wahrheit spürte er bereits, wie eine Kälte sich in seiner Brust ausbreitete, die nichts Gutes bedeuten konnte.
» Nein! Wo denkst du hin?«, brauste sie auf.
» Ich hab ja nur gefragt«, entschuldigte er sich.
Daraufhin schwieg sie.
Vlain, der aus Gründen, die er selbst nicht verstand, das dringende Bedürfnis verspürte, über Liwys Auftauchen zu sprechen, wandte sich nach einigem Zögern und mehreren Minuten des Schweigens an mich: »Und was hat sie zu dir gesagt, Adrian?«
» Auch nichts Wichtiges. Wir haben höchstens ein paar Minuten gesprochen, danach hat sie sich verabschiedet.«
Noch so eine erschöpfende Antwort!
Er musste sich eingestehen, dass er sich ein wenig vor den Kopf gestoßen fühlte. Entweder gab es wirklich nichts Nennenswertes zu berichten, oder aber … »Hat sie gesagt, warum sie nicht mit mir sprechen wollte?«
» Nein«, erwiderten Yve und ich gleichzeitig, gleichermaßen genervt.
Den Rest des Weges unternahm er keinen erneuten Versuch ein Gespräch zu beginnen, dafür machte er sich umso mehr Gedanken.
Crevi stand vor dem klapprigen Küchentisch, den Jayden und Ennyd unter Mühen in den Keller geschafft hatten, und betrachtete die sechs perfekten Fälschungen ihrer Ausweise im trüben Licht der Öllampe. Da standen lauter falsche Namen, die sich ihr allein durch die bloße Tatsache, dass sie dort standen, die Nackenhärchen aufstellen ließen.
» Was tue ich hier nur?« Sie fuhr die Tischkante entlang, konnte einfach nicht fort sehen. Ihr war, als bohrten sich eiskalte Finger in ihre Eingeweide und entfachten in ihr den Wunsch sich augenblicklich zu übergeben. »Ach, Dad. Hast du gewusst, dass es soweit kommen wird?«
Sie zuckte zusammen. Der Schmerz war noch immer dort. Tief, ach so tief, in ihrem Herzen. Er war es! , riefen die leisen, furchtbar enttäuschten, Stimmen in ihrem Kopf. Er hat es getan. Er war der Schöpfer! Als hätte sie es die ganze Zeit über gewusst. Nun ergab alles einen Sinn. Warum man ihn ermordet hatte, warum er nie über seine Vergangenheit hatte sprechen wollen, warum sie die Auserwählte war, die nun die Bürde einer Schöpferin zu tragen hatte. Natürlich! Wieso war ihr das nicht gleich aufgefallen?
» Du warst es«, flüsterte sie.
Weitere Kostenlose Bücher