Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
»All die Jahre über.«
Ihr Magen zog sich noch ein wenig mehr zusammen, wenn sie versuchte, sich mit dem Gedanken abzufinden, jeden Moment ihrem leiblichen Vater gegenüberzustehen.
Willem Irrwig!
Allein sein Name ließ Crevi schaudern. Ob er sie als seine Tochter erkannte? Gleich darauf verwarf sie diese Hoffnung. Wahrscheinlicher war, dass er sie längst vergessen, verdrängt hatte, wie man etwas verdrängte, an das man nicht mehr denken mochte.
Jayden kam die Kellertreppe hinunter gepoltert. Sie blickte auf und begutachtete noch einmal den Raum, wie sie es schon mehrere Male zuvor getan hatte.
Die Wände waren rau, grau und unverputzt. Der Keller war tief und es gab nur ein einziges winziges Fenster, das so verdreckt war, dass kein einziger Funken Licht hindurch drang. Es roch nach Moder und Verfall und die alten Holzregale, die verlassen und leer an den Wänden gähnten, waren morsch und schimmelig. Die einzige Sitzmöglichkeit bildete ein alter Sessel, dessen Polster aufgeschlitzt war und sein Inneres nach außen kehrte, sah man von der klapprigen Krankenhausliege, die eigens für diesen Abend hier aufgebaut worden war, ab.
Das Gruseligste war ohne Frage eben jene Liege. Man konnte die Lehne beliebig weit verstellen, dass der Patient entweder flach auf dem Rücken lag oder halbaufgerichtet vor den Ärzte n saß. Am Kopfende des Gestells war eine Halterung angebracht, mit der man den Kopf des Patienten an die Liege fesseln konnte, damit er sich bei komplizierten Eingriffen nicht zu bewegen vermochte. Passend dazu waren Gurte für die Handgelenke an den Armlehnen befestigt, die Jayden vorsichtshalber durch eiserne Handschellen ersetzt hatte.
Crevi hasste jetzt schon, was sie gleich tun würden. Es fiel ihr nicht schw er, sich allerlei grausame Dinge vorzustellen, die man einem Menschen, wenn er hilflos an eine Liege wie diese gefesselt war, antun konnte. Im schummerigen Licht, das eigentlich nur der Stimmung diente und mehr als ungünstig war, entstanden vor ihrem Inneren Auge bereits die Bilder einer Folterszene.
» Hat da etwa jemand Angst vor der Dunkelheit?« Etwas tippte auf Crevis Schulter.
Crevi fuhr herum, atmete hörbar aus, als sie Ennyds breites Grinsen gewahrte.
»Wie gut, dass Blicke nicht töten können, ich bin mir sicher, du hättest es sonst geschafft«, kommentierte er ihre finstere Miene.
Am liebsten hätte sie ihm eine gescheuert.
»Wir sind spät dran«, unterbrach Jayden sie. »Die anderen sollten längst wieder hier sein.«
» Na ja, dann bleibt mehr Zeit für uns alleine. Nicht wahr, Crevi?«, feixte Ennyd und legte ihr freundschaftlich einen Arm um die Schulter.
Der Bettler nahm es zur Kenntnis, fragte dann : »Nehmen wir jetzt eigentlich die Masken, oder nicht?«
Ennyd überlegte kurz . »Nein, eher nicht. Irrwig hat Vlain, Adrian und Yve ohnehin schon gesehen. Abgesehen davon, wird er ,wenn wir mit ihm fertig sind, keine Zeugenaussage mehr machen können. Außerdem«, er klang sehr zufrieden, »haben wir die Ausweise, damit dürften wir zumindest unerkannt aus der Stadt kommen. Unsere Namen sind eh bereits in Umlauf und nach dem kleinen Zwischenfall in Irrwigs Büro werden wir so oder so die ersten Tatverdächtigen sein, wenn man seine Leiche findet.«
» Du genießt es«, bemerkte Crevi, was ihr schon die ganze Zeit über auf der Zunge lag.
» Was?«
» Diese Dinge zu sagen.«
» Welche Dinge?«
» Dinge, wie diese.«
» Du meinst meine kleine Schwäche für dramaturgisch perfekt durchdachte Pläne? Da könntest du recht haben. Ich kann es kaum erwarten, die Schlagzeilen zu lesen. Vermutete Entführung: Professor W. Irrwig spurlos verschwunden , Toter Professor im Fluss gefunden. Leiche kaum mehr zu identifizieren , Geplünderte Wohnung, furchtbar verwüstet . Ist das nicht spannend? Wie in einem Krimi!«, ereiferte sich der Dieb.
» Nur, dass du nicht daran gedacht hast, dass wir davon nichts mehr mitbekommen werden, wenn wir uns schon auf der Flucht befinden.« Jayden warf ihm einen viel sagenden Blick zu.
Ennyd verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust . »Allein der Gedanke daran ist berauschend.«
» Hast du schon mal daran gedacht, dir einen Psychiater zu suchen?«
» Ich bitte dich, mein Lieber.« Er klopfte Jayden auf die Schulter. »Das würde meinem untadeligen Ruf schaden.«
» Sicher doch, Master Riddle.«
Crevi konnte nicht anders, sie musste schon wieder lächeln.
»Also keine Masken«, nahm Jayden die Antwort auf seine ursprüngliche
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