Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
mich frisch machen.«
» Selbstverständlich. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie los möchten.«
» Das werde ich.«
Yve wartete einen Moment, bis das Mädchen in der Küche verschwunden war.
Sehr zufrieden mit ihrer Darbietung machte sie sich auf den Weg ins Badezimmer. Froh sich ihrer schmutzigen Kleidung entledigen z u können, streifte sie sie aus und drehte erwartungsvoll die Dusche auf. Das Wasser war sauber und warm ! Etwas wovon man im Inneren Ring von Ral’is Dosht nicht einmal träumen konnte. Und es kam auch noch aus Leitungen! Kein ewig langer Weg zu einem der verseuchten Brunnen. Es war ein herrliches Gefühl! Fast wehmütig stellte sie das Wasser wieder ab.
Mit einer Regung, die Ehrf urcht ganz nahe kam, schlüpfte Yve schließlich in das rote Kleid. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Sie wirkte seit langer Zeit einmal wie eine Frau. Auch das offene Haar, das ihr bis knapp zu den Schultern reichte, ließ sie femininer wirken. Fast hätte sie lachen müssen. Niemand würde sie erkennen. Nicht einmal Ferzo hätte das geschafft. Zufrieden mit sich selbst stolzierte sie aus dem Bad und suchte sich ein passendes Paar Schuhe. Zu ihrem Entzücken, bot ihr das Mädchen, kaum dass sie es herbei gerufen hatte, auch noch einen edlen, breitkrempigen Hut mit Schleife an, der ihrer Verkleidung den letzten Schliff verpasste.
» Sie sehen fabelhaft aus.«
» Danke.« Yve fragte sich, ob die andere nicht log. Sie sah immer noch zu sehr nach einer Rebellin aus. »Wie heißt du eigentlich?«
» Yirdah Zebril. Und Sie? Falls ich das fragen darf.«
» Natürlich darfst du.« Sie überlegte kurz. »Mein Name ist Yvena Catah.«
» Ich habe mir bereits überlegt, wo ich Sie überall hinführen kann. Natürlich nur durch den Wachbezirk. Aber ich bin sicher, das wird Ihnen eine willkommene Abwechselung bieten.« Natürlich nicht in die Elendsviertel, in denen die Teufel wie in der Hölle schmoren. »Miss Catah«, fügte sie verlegen ob ihres Enthusiasmus’ hinzu.
» Das wäre sehr nett.«
Yirdah geleitete sie zur Tür hinaus. Untergehakt schlenderten sie durch die Straßen und Gässchen. Ein kleines Dorf. Nur die Absperrung zur Hölle erinnerte an seinen tatsächlichen Standort.
Yve konzentrierte sich darauf, sich die Wege und Sträßchen genau einzuprägen. Nur für den Fall, dass sie es eines Tages bis hierher schaffen würden. Yirdah führte sie zu allerlei bekannten Adressen, zu Gasthäusern, Bäckern, Restaurants und einer Vielzahl ihrer Lieblingsgeschäfte. Diese Informationen waren für sie von geringem Interesse. Wichtiger war, wo die Mauer verlief. Für einen eventuellen Fluchtplan.
Entweder ich bin unfassbar blöd oder aber naiv! Möglicherweise auch beides , durchzuckte es Yve, als sie sich bewusst wurde, dass sie noch immer vorhatte, ihre Freunde von der anderen Seite bei einer Flucht nicht zurückzulassen. Habe ich denn nichts gelernt?
» Gleich erreichen wir das Stadttor«, kündigte die junge Frau an.
Ein Kribbeln in ihrer Magengegend brachte sie zurück in die Wirklichkeit.
Das Stadttor.
Noch nie hatte Yve es seit ihrer eigenen Einlieferung vor zweiundzwanzig Jahren zu Gesicht bekommen. All ihre Fluchtversuche waren bereits an der Innenmauer gescheitert.
Schon von weitem konnte sie die massiven Eisenflügel erkennen. Gleichzeitig sank ihr Mut.
» Hast du je gehört, dass jemand entkommen ist?«, erkundigte sie sich beiläufig.
» Nein, keine Sorge. Die Teufelsfratzen sind bisher nicht einmal bis zur Außenmauer gelangt. Den gefährlichsten Fluchtversuch unternahm vor sechs Jahren die berüchtigte Rebellin Yve die Widerliche.« Yirdah stoppte und fast glaubte Yve, sie hätte die Ähnlichkeit mit ihrem Namen bemerkt. Das Herz blieb ihr stehen und sie machte sich bereit, das Mädchen niederzuschlagen. Aber da fuhr dieses schon fort, schauderte: »Das gab ein ganz schönes Chaos.« Die leibhaftige Rebellin zwang sich, die Muskeln wieder zu entspannen. »Sie hat versucht, mit ihren Männern an der Mauer hinaufzuklettern, indem sie Wurfhaken am oberen Ende verkeilte. Einige haben es sogar auf die andere Seite geschafft, aber wir haben sie zurückgeschlagen. Seitdem ist die innere Mauer mit Draht besetzt.«
Zurückgeschlagen, soso. Yve erinnerte sich, wie einige ihrer besten Männer und auch Freunde gefallen und von den Soldaten niedergemetzelt worden waren. Nur knapp war sie selbst dem Gegenangriff entkommen. Seitdem hatte sie es mit friedlichen Protestaktionen versucht, um ihre Leute zu
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