Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
war sie Mutter eines zweijährigen Sohnes, der in einem Kinderheim im Oberbergischen lebte, wo Loni ihn zur Welt gebracht hatte. Durch die NS-Frauenschaft bekam Loni eine Stellung in einer Arbeitslosenküche. Und bereits nach kurzer Zeit war sie mit der Leitung des Betriebes betraut. Diesen Aufstieg verdankte Loni dem Interesse des Ortsgruppenleiters, dem die Küche unterstand. Und er ernannte Loni, obwohl ihr jede Qualifikation für diesen Beruf fehlte. Es gab auch genügend Gerede, Getuschel, anzügliche Bemerkungen und Ränke gegen Loni seitens ihrer Mitarbeiterinnen, so daß Loni die neue Machtstellung nicht uneingeschränkt genießen konnte. Sie mochte es selbst nicht recht glauben, daß sie Vorgesetzte war, nicht mehr Dienstbote, sondern Verantwortliche. Daß sie das Sagen hatte in einem Betriebvon sechzehn Köchinnen und vier Männern, die zuständig waren für den Einkauf der Lebensmittel. Loni merkte bald, daß sie gerade diesen Herren auf die Finger sehen mußte. Sie zweigten Lebensmittel ab und verkauften sie, um so ihren Lohn aufzubessern. Täglich gab es Streit. Die ausgebildeten Köchinnen versuchten Loni nachzuweisen, daß sie nicht einmal von schlichter Hausmannskost etwas verstand, geschweige denn von feinerer Küche, daß sie von Haushaltsführung keine Ahnung hatte und noch weniger von Vorratshaltung.
Loni schwieg und lernte, zumal der Ortsgruppenleiter immer mal wieder durchgriff und Lonis Widersacher mit Drohungen zum Schweigen brachte. Vorausgesetzt, Loni hatte oft genug mit ihm geschlafen.
Es stürmte so viel auf Loni ein, daß sie gar nicht dazu kam, am Wahren, Guten und Edlen in sich und den anderen Deutschen zu zweifeln.
Als sich ihr die Gelegenheit bot, mit der Freizeitorganisation Kraft durch Freude in die Alpen zu fahren, in den ersten Urlaub ihres Lebens, ließ sie die Arbeitslosenküche, den Ortsgruppenleiter und das Kind im Heim erst einmal hinter sich. Für fünfundsechzig Reichsmark konnte sie zwei Wochen nach Bad Tölz in Bayern reisen. Hin- und Rückfahrt, Unterkunft und Verpflegung inbegriffen. Schon am dritten Urlaubstag, bei einer Tanzveranstaltung in einem Tölzer Hotel, lernte Loni den Polizeihauptwachtmeister Kaspar Lechner kennen. Er hatte aus dem Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz und das Bayerische Militärverdienstkreuz – denn er war schon als Siebzehnjähriger freiwillig in den Krieg gegangen. Seine Beine waren zerschossen, aber das erfuhr Loni erst später. Wie auch Kaspar Lechner erst später erfuhr, daß es in einem Kinderheim in Westfalen ein Kind namens Max gab.
Kurz nach der Hochzeit wurde Kaspar Lechner von BadTölz nach Wiesham versetzt. Loni Lechner fand sich bald wieder gut, wahr und treu, wie alle richtigen deutschen Frauen. Auch wenn sie mit nur einem Kind nicht das Soll der Volksbestandserhaltungsziffer erfüllte. Loni hätte gern noch Kinder von Kaspar Lechner gehabt. Auch das Mutterschaftskreuz wäre ihr recht gewesen. Aber es sollte nicht sein. Sie wurde nicht mehr schwanger. Immerhin hatte sie mit Max, der jetzt Maxl oder Maximilian Lechner hieß, wenigstens ein kleines Scherflein beigetragen für das Sein des deutschen Volkes.
Loni trug ihr arisches Bewußtsein wie einen Talar. Auch als der Krieg begann, die Häuser verdunkelt werden mußten, Lebensmittelvorräte beschlagnahmt wurden und man nur noch auf Marken das Nötigste bekam, änderte das nichts an Lonis Gefühl, mitzutun am Bau eines großen neuen Deutschland. Was ihr Mann, Kaspar Lechner, über den NS-Staat dachte, wußte Loni nicht. Er sprach nie mit ihr darüber. Für derlei Diskurse hatte er den Pfarrer und neuerdings diese Jüdin, die sich vor Angst nicht aus ihrem Verschlag heraustraute, aber Lonis Männer, Kaspar und Max, trotzdem völlig in ihren Bann gezogen hatte.
Loni fand, daß ihr Mann sie kaum noch beachtete. Da sprach er mit dem Max ja zehnmal mehr als mit ihr. Stumm saßen sie bei den Mahlzeiten am Tisch. Maxl konnte gar nicht schnell genug wegkommen zum Fußballspielen oder zu ihr, der Jüdischen. Auch Kaspar hatte ständig mit der zu tuscheln. Loni begriff nicht, warum gerade in ihrem Leben eine Jüdin, die eigentlich längst im Osten im Arbeitslager sein müßte, ein Ansehen genoß, das sie, Loni, nicht hatte. Nicht einmal die beiden Polizisten, Hurler und Kerzl, erwiesen Loni den nötigen Respekt, obwohl sie das hinter devotem Verhalten verbargen. Loni spürte mit dem Scharfsinn der allzu lange Geduckten, daß sie für niemanden eine Autorität war. Sie konnte es nicht
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