Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
greifen, nicht fassen,warum ihr immer mehr Ansehen entglitt. Auch bei den Bäuerinnen, die anfangs zu den Versammlungen gekommen waren, galt sie kaum noch. Denn auch Hitler war nicht mehr stark gefragt. Für die schwindende Autorität im Haus jedoch machte Loni Therese verantwortlich. Lange würde sie das Geturtel von Kaspar und Maximilian nicht mehr mit ansehen.
Therese setzte sich mühsam auf. Manchmal tat ihr der Kopf weh vom Erinnern. Heute schmerzte ihr Rücken in der Nierengegend so anhaltend, daß Therese fürchtete, sie bekäme eine Nierenbeckenentzündung. Dabei war schon Mitte August. Es war heiß im Verschlag. Und von draußen kamen Heugeruch und der Lärm der Kinder aus dem Schwimmbad. Therese hörte die hellen Stimmen. Es war ein anhaltendes Rauschen, hoch und voller Leben. Therese wußte, daß eine der Stimmen Maxl war, daß er jetzt dort oben mit seinen Freunden tobte und schrie und schwamm. Schwimmen. Wann hatte Therese zum letztenmal in der Floriansmühle gebadet? Das war zu einer Zeit gewesen, von der Therese schon lange abgetrennt war. Nichts davon würde je zurückkommen. Mutter und Sybille in ihren weißen Leinenkleidern, Anni mit dem Picknickkorb, weiche Frotteetücher, die Wärme der Sonne auf der erfrischten Haut.
Und heute? Wieder fühlte Therese den Schweiß, den Schmutz, der ihre Haut verklebte. Die strohigen, staubigen Haare. Sie roch den Modergeruch, der sie umgab. Und plötzlich kam ihr ein Gedanke. Aberwitzig zuerst, aber der Gedanke blieb, ließ sich nicht verdrängen, kehrte immer wieder zurück und stellte sich in neuer Form dar. Max, Maxl mußte Therese genau beschreiben, wo das Schwimmbad lag. Die Richtung war Therese schon lange klar. Siehörte den Chor der Badenden, Tag für Tag. Und je heißer und dumpfer es in ihrem Verschlag wurde, so daß sogar die Möbel und die Zudecken zu dampfen schienen – desto mehr sehnte sich Therese nach einem Bad. Doch sie wußte, diese Freude, diese Erlösung von Schmutz und Hitze stand ihr nicht zu.
Sie dachte an ihre Mutter, an Sybille. Wie mochten sie die Hitze in dem Heustadel aushalten? Therese wußte nur, daß sie den Winter ohne Erkältung überstanden hatten, obwohl es in dem Stadel noch kälter sein mußte als in Thereses Verschlag, der doch immerhin durch die Außenmauern eines Wohnhauses geschützt war. Therese hatte einmal Nachricht bekommen, daß Sybille sich an der Hand verletzt hätte. Dies steigerte noch Thereses Angst um ihre Mutter und um Sybille. Sie wußte, daß immer mehr Menschen aus der Stadt vor den Fliegerangriffen aufs Land flüchteten. Wenn Bombenangriffe auf München niedergingen, so wie letzte Woche, drei Stunden hatte der Angriff gedauert, dann spürte man fast den Luftzug, hörte die dumpfen Aufschläge. Maxl erzählte ihr, daß man bis Wiesham das rote Aufleuchten am Himmel sehe. Manchmal hörte man auch, daß Tiefflieger Menschen auf dem Feld angegriffen hatten. Dann zitterte Therese um Mutter und Sybille in ihrem Heustadel. Wie leicht konnten sie verletzt werden. Das durfte nicht geschehen.
Manchmal wünschte Therese sich, daß sie beten könnte. Sie dachte an Sybille, wie sie mit den Liebmanns gebetet hatte. »Höre Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einer. Und du sollst lieben den Ewigen, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit aller deiner Kraft. Und es sollen sein alle diese Worte, die ich dir heute gebiete in deinem Herzen. Und du sollst sie einschärfen deinen Kindern. Und du sollst über sie reden, wenn du sitzest in deinem Hause. Und wenn dugehst auf dem Wege. Und wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst …«
Weiter hatte Therese nicht gewußt. Und die Worte, auch wenn sie sie sehr schön fand, waren für Therese wie das Rauschen von Wasser, dessen Fluß man nicht sieht – eine ferne Melodie.
Maxl kam aus dem Schwimmbad zurück. Therese hörte seinen eiligen Schritt vor dem Haus, und schon bald klopfte er an die Tapetentür, Maxl schob Therese einen Buschen Kräuter hin. Therese roch an den würzigen Blättern und Zweigen. »Was ist das, Maximilian?«
»Der Würzbüschel. Heut ist Maria Himmelfahrt. Die Kräuter sind vom Pfarrer geweiht. Wir hängen s’ in die Küche, und wenn ein Gwitter kommt, verbrennen wir s’ im Herd, das hilft.«
»Kennst du die Kräuter, Max?«
»Net alle. Aber ’s Johanniskraut, ’s Tausendgüldenkraut, den Wermut, die Schafgarbe, die Kamille, die Minze, den Holler und die Haselnuß, die kenn i
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