Besessen
so konnte ich Max nicht behandeln. Er versuchte nur, mir zu helfen, indem er mir die Neuigkeiten in kleinen Dosierungen weitergab. Doch für mich war es so schmerzhaft, als ob er mir langsam ein Pflaster von einer Wunde zog.
„Alle seine bekannten Blutskinder sind verschwunden. Sogar die aus der Bewegung. Carrie, es gibt einen Grund dafür, dass der Souleater so schwach ist. Er hat mehr oder weniger über fünf Jahrhunderte lang einen Zögling pro Jahrerschaffen. Nun sind sie alle weg.“ Max zuckte hilflos die Achseln. „Und er wird wieder stärker.“
Ich dachte, es könnte nicht noch schlimmer werden. Jetzt wurde mir klar, dass das eine Illusion gewesen war. Mit Max’ Worten sackte der Boden einfach unter mir weg. „Du denkst doch nicht …“ Ich brachte es nicht über die Lippen. Es gab nur eine Art, auf die der Souleater stärker werden konnte: wenn er das Blut und die Seele eines Vampirs zu sich nahm.
„He, ich weiß nur, was man mir erzählt hat“, sagte er und versuchte ermutigend zu klingen. „Aber diese Geschichte … Pass auf, es gibt da eine Person, die uns erzählen kann, was mit Nathan los ist. Unglücklicherweise ist sie ein bisschen gefährlich. Deshalb hat die Bewegung sie festgesetzt.“ Er fluchte und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen blonden Haare. „Ich mag den Plan nicht, aber sie halten ihn für machbar und, ganz ehrlich, wir haben keine Alternative.“
Mit einem Schock fiel mir ein, wie der Abend begonnen hatte. Ich war aufgestanden, hatte mit Nathan gesprochen und einen Spaziergang gemacht, ohne jeden Verdacht, dass das Elend schon auf der Lauer lag. Es war so unfair und gemein! Alles, was ich wollte, war Nathan. Er sollte bei mir sein und mir sagen, dass alles gut war. Ich fühlte nach dem Blutsband, aber da war nichts. Schmerz, so mächtig, dass ich kein Wort und keinen Laut dafür fand, durchflutete meinen Körper. Ich öffnete den Mund, aber mein Schrei blieb stumm, ich schlang die Arme um meine Brust und versuchte aufzustehen, aber ich brach zusammen und fiel auf die Knie.
Einen Herzschlag später war Max an meiner Seite, packte meine Oberarme, zog mich hoch auf die Couch. Liebevoll legte er die Arme um mich, und ich sackte gegen ihn. Sein T-Shirt war angenehm an meiner Wange, und für einen Momentgab ich mich der Illusion hin, dass es Nathan wäre, der mich hielt.
Dann stieß ich Max von mir. Der Schmerz würde nie nachlassen, wenn ich mich nicht der Wirklichkeit stellte. Nathan war weg, vielleicht für immer.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, schluchzte ich, mehr in mich hinein als an Max gewandt.
Seine Stimme klang belegt, weil er darum rang, mir seine eigenen Ängste nicht zu zeigen. „Ich weiß, was du tun wirst. Du wirst diese Nacht überstehen und wahrscheinlich auch noch den morgigen Tag, dann nehmen wir die Maschine nach Madrid. Wir treffen uns mit der Bewegung, machen ein bisschen Sightseeing, dann betrinken wir uns glorreich und stürzen bei einer Flamenco-Show ab. Klingt das gut?“
„Wie kannst du in diesem Moment Witze machen?“ Ich fuhr mir über das Gesicht und blitzte ihn an. „Was, wenn wir Nathan nie wiederfinden?“
„Dies hier ist nicht das Schlimmste, was Nathan je passiert ist. Er wird da durchkommen.“ Max zögerte. „Ich habe das noch nie jemandem erzählt …“
Sofort saß ich kerzengerade. „Was denn?“
Er sah weg. „Ich weiß nicht, ob es dir hilft, wenn ich dir davon erzähle.“
„Es ist einen Versuch wert.“ Nichts konnte diese Situation verschlimmern.
„Mein Erschaffer ist gestorben.“ Ehe ich mein Beileid bekunden konnte, fuhr er hastig fort. „Vor ungefähr zehn Jahren. Er war nicht in der Bewegung, genauso wenig wie ich. Wir haben zusammengelebt – nicht schwul oder so –, und dann kam ich mit diesem Mädchen in Kontakt. Sie war eine Vampirjägerin, aber das wusste ich nicht. Sie hat mich benutzt, um ihn zu erwischen. Dann hat sie mich vor die Wahlgestellt: Ich konnte der Bewegung beitreten oder sterben. Ich hatte gesehen, was sie mit Marcus getan …“
Der Schmerz in seiner Stimme überwältigte mich. „Du musst nicht weitersprechen“, flüsterte ich.
Um Fassung bemüht, nickte er und lächelte, als wäre es ihm peinlich, dass er seine Gefühle gezeigt hatte. „Ich vermisse ihn immer noch. Manchmal denke ich, wenn ich nur seine Stimme hören könnte … Aber irgendwann bin ich damit fertig geworden.“
Ich wollte sagen: „Das kann ich mir nicht vorstellen“ oder „Es muss grauenhaft
Weitere Kostenlose Bücher