Besessen
klaren, unergründlichen Blau nichts als Ehrlichkeit.
Er beugte sich zu mir, weder Tod noch Wiederauferstehung hatten ihm seine katzenhafte Eleganz nehmen können. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte – und das hätte eine ganze Weile gedauert, angesichts der vollkommen absurden Umstände dieses Augenblicks –, küsste mich Cyrus.
Der Ausdruck „wie Fahrradfahren“ schoss mir durch den Kopf. Obwohl es lange her war, reagierte mein Körper auf ihn genau wie früher, wenn wir gegenseitig unser Blut getrunken hatten. Pure, unkontrollierte Lust schlug wie eine Flutwelle über mir zusammen und raubte mir jeden rationalen Gedanken.
Ich berührte ihn nicht, aber ich löste mich auch nicht von ihm. Er schlang die Arme um mich. Es war etwas unbeholfen, weil das Lenkrad im Weg war, aber er konnte immer noch genausogut küssen wie als Vampir. Unwillkürlich zog ich die Zehen an und rutschte auf dem Sitz von ihm weg, wobei ich versuchte, das erregende Kribbeln in meinem Körper unter Kontrolle zu bekommen. Es gelang mir nicht.
Er lehnte sich zurück. Sein Gesicht war gerötet, auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet. Sein Blick fiel auf meine Lippen, dann auf meine Augen, und er wandte sich sofort ab und schaute zur Windschutzscheibe hinaus.
„Da, schau mal“, keuchte er und deutete mit einer herablassenden Geste auf etwas auf der Straße. „An dieser Stelle habe ich dein Herz herausgeschnitten.“
Sein Tonfall war so beiläufig, so ohne jede Reue. Die Erinnerung an diese Nacht, mein eigener Schmerz, gepaart mit den Qualen, die Nathan durchstehen musste, schnitt mir durch die Seele wie damals das Messer von Cyrus. Ich hielt es nicht mehr aus, all der Stress und die Sorgen, die mich belasteten, und nun noch dieser Schmerz. Tränen liefen mir die Wangen hinunter, und ich schlug ihn so hart, dass sich auf seiner Wange weiß der Abdruck meiner Hand abzeichnete, der rasch rot wurde.
Ich sah es ihm an, dass er wusste, was er getan hatte. Er wollte mich hilflos berühren, aber ich schob seine Hände von mir.
„Wie konntest du das tun?“ Ich wollte mir seinen Kuss vom Mund wischen, das Gefühl seiner Lippen auf meinen aus meinem Gedächtnis bannen. „Nathan ist verschwunden. Er kann schon tot sein. Und du …“
Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Ich wollte die Worte nicht aussprechen, nicht sagen, dass er mich geküsst hatte. Ich hasste es, dass er immer noch diese verführerische Gewalt über mich hatte, dass nicht alles, was uns miteinander verband, eine Folge unserer Blutsverbindung gewesen war. Und ich hasste es, dass ich in dem Augenblick, als dieses kranke Gefühl mich zu Cyrus zog, Nathan vollkommen vergessen hatte.
Oben an der Treppe öffnete sich die Tür, und eine sehr beunruhigte Frau mit einer Armbrust war zu sehen. Ich erkannte sie an ihrem langen schwarzen Haar und den exotischen Gesichtszügen. Es war Bella, die Vampirjägerin aus GeneralBretons Büro. Auch ihre Kleider kamen mir bekannt vor. Sie gehörten mir.
Die Werwölfin musterte mich und Cyrus mit einem abschätzenden Blick, dann ließ sie die Armbrust sinken und nahm eine weniger bedrohliche Haltung ein. „Du musst Carrie sein.“
Ich nickte und wollte gerade etwas sagen, als im Inneren der Wohnung ein gellender Schrei erklang.
Leicht besorgt zog Bella die Augenbrauen zusammen. „Es klingt schlimmer, als es ist. Ich habe ihm einen beruhigenden Kräuterauszug verabreicht, aber er schlägt nicht an.“
Mit einem gefühllosen Murmeln bedankte ich mich. Der Schrei war mir durch und durch gegangen. Noch nie hatte ich ihn außerhalb meiner Gedanken gehört. Sie hatten Nathan gefunden.
Max kam aus dem Flur und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab. „Wenigstens hat er jetzt etwas Blut getrunken.“ Er erstarrte, als er uns erblickte, um seine Lippen spielte ein schwaches Lächeln. „Du bist zurück.“
„Ja.“ Wahrscheinlich musste es grausam erscheinen, dass ich nicht sofort zu Nathan stürzte, aber ich konnte nicht. Nicht nach dem, was gerade im Wagen geschehen war.
Max schaute mich zögernd an, als ob er mein Schuldbewusstsein spüren konnte. Mit seinem verdammt guten Einfühlungsvermögen wandte er den Blick auch gleich Cyrus zu. „Hallo, ich bin Max.“
Cyrus war nichts anzumerken, eine Fähigkeit, die er in fünf Jahrhunderten voller Intrigen und Manipulationen perfekt gelernt hatte. Es war bei ihm wie ein Programm, das sich automatisch anschaltete, und insgeheim war ich dankbar dafür.
Mit festem
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