Besessene
mir die Tür und meine Stimme klang schrill vor Atemlosigkeit, als ich sie fragte: »Hallo, Mrs Cassidy. Ist Luke vielleicht zu Hause?«
»Nein, tut mir leid, Kate. Er ist mit Laura in der Stadt … die beiden haben was zu feiern.«
Grenzenlos enttäuscht fragte ich sie: »Hat Laura Geburtstag?«
Lukes Mum strahlte übers ganze Gesicht. »Nein, sie feiern ihren Jahrestag. Drei Jahre sind die beiden jetzt zusammen.«
»Oh, wow, nicht schlecht!«
»Wahrscheinlich hat er deshalb auch sein Handy ausgeschaltet.«Sie zwinkerte mir zu. »Sie wollen vermutlich nicht gestört werden.«
Am liebsten wäre ich im Boden versunken. »Nein … ja … natürlich wollen sie nicht gestört werden. Ich würde nicht im Traum dran denken.«
»War’s denn was Wichtiges, Katy?«, rief sie mir hinterher.
»Nein, nichts, das nicht noch warten könnte. Ich … ähem … ich rühre mich dann morgen wieder.«
Es blieb mir also nichts anderes übrig, als bis zum nächsten Tag zu warten, denn ich hatte sonst niemanden, der diese allerneueste Entwicklung nur annähernd nachvollziehen konnte. Mich nervte es, dass ich so abhängig von Luke war, und ich versuchte, ihn aus meinem Kopf zu verbannen, aber es gelang mir einfach nicht. So lag ich wach im Bett und lauschte dem Heulen des Windes, der stoßweise durch die morschen Fensterrahmen in meinem Zimmer blies und die Vorhänge aufblähte. Langsam nahm ich das Foto von Luke und mir aus der Schublade und hielt es unter die Nachttischlampe. Jedes Mal, wenn ich es mir ansah, überraschte es mich ein bisschen mehr. Sorgfältig legte ich es wieder zurück. Eigentlich wusste ich selbst nicht genau, warum ich es aufbewahrt hatte.
Sogar im Schlaf kann ich die Hitze spüren. Ich stehe wieder vor dem alten baufälligen Haus, doch völlig hilflos diesmal und nicht in der Lage, weiter zu gehen als bis zur Veranda. Ich bin gezwungen zuzusehen, wie Genevieve ein Streichholz wirft, wie nach und nach die Flammen übergreifen, die Treppe berstend, splitternd brennt, als wäre sie aus Zunder. Doch Genevieve geht mitten durchdie Feuersbrunst, bleibt unversehrt, schwebt einen halben Meter oberhalb des Bodens. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ich gerettet werden kann – ich muss mit ihr zusammen gehen. Auch wenn ich es nicht will, ich habe keine andere Wahl. Sie streckt mir ihre Hand entgegen, ich gehe auf sie zu und dann verschmelzen unsere beiden Körper, werden eins, und was sie denkt, das denke ich. Sie nimmt mich mit zum Hauptplatz, wo wir den Strick anstarren, der vom Galgen baumelt, umrahmt von einem Nachthimmel in brennendem Orange.
Kapitel 33
E s klang wie Hagelkörner, die erst noch leicht, dann aber immer heftiger gegen mein Fenster schlugen. Ich schwebte zwischen Schlaf- und Wachzustand und brauchte eine Ewigkeit, bis ich erkannte, dass es ein völlig anderer Rhythmus war und jemand Steinchen an meine Fensterscheibe warf.
Hastig öffnete ich einen Fensterflügel und streckte den Kopf heraus. Unten stand Luke mit einer Handvoll feiner Kieselsteine aus dem Garten.
»Luke? Es ist doch noch so früh!«
»Mum meinte, du hättest gestern Abend noch bei uns vorbeigeschaut. Ich wusste gleich, dass was passiert sein muss.«
Ich hielt beide Hände in die Luft, um anzudeuten, dass ich in zehn Minuten unten sein würde.
Dann wusch ich mir eilig das Gesicht, putzte die Zähne, ging mit dem Kamm durchs Haar und zog mir eine Jogginghose und ein Sweatshirt an. Zuletzt griff ich nach einem Blatt Papier und stopfte es in meine Tasche. Luke stand mit müden Augen und zerzausten Haaren neben seinem Auto und wartete auf mich. Er musste wohl in seinem T-Shirt geschlafen haben, denn es sah ganz zerknittert ausund roch genauso wie sein Zimmer. Meine Nase schien auf Hochtouren zu laufen, denn ich witterte auch einen Hauch von Knoblauch und eine leichte, süßlich riechende Bierfahne.
»So dringend war’s nun auch wieder nicht«, sagte ich schuldbewusst.
»Mum meinte aber, du hättest so atemlos vor unserer Tür gestanden, als ob du einen Marathon gelaufen wärst.«
»Könnten wir nicht irgendwohin fahren, Luke?« Ich hatte das ganz dringende Bedürfnis, von allem wegzukommen, was mir zu vertraut war.
Ich schob mich in sein Auto und Luke salutierte etwas spöttisch. »Wohin soll es denn gehen, meine Dame?«
»Du hast wahrscheinlich keine Lust, ans Meer zu fahren, oder?«
Luke hielt sich gar nicht erst mit einer Antwort auf. Er machte einen U-Turn und stieg aufs Gas. Bis zur Küste waren
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