Besessene
verändern.«
»Aber so war es«, sagte er grübelnd. »Ich habe hier und da noch etwas nachgebessert … bis zu dem Tag, an dem ich’s dir gezeigt habe und …«
»Dann ist es also nicht schon … seit vielen Wochen fertig?«, unterbrach ich ihn.
»Nein … ich lass mir immer Zeit mit meinen Bildern.« Er formte einen Kreis mit seinen Händen. »Das Thema muss sich ja erst nach und nach entwickeln und manchmal nimmt es dann so etwas wie ein Eigenleben an.«
In diesem Fall mit Sicherheit, dachte ich missmutig,sagte allerdings nichts. Ich schwankte noch, ob ich ihm glauben konnte oder nicht, ärgerte mich aber, denn ich hätte es fuchtbar gern getan.
»Katy … ich hatte mir gerade dein fast vollendetes Porträt angesehen und im nächsten Moment warst du auch schon bei mir im Atelier, warst bestürzt und schockiert … und erst, als du gegangen warst, dämmerte mir nach und nach, warum.«
Ich lächelte höflich und und blinzelte ein paarmal. »Vielleicht war ja dein Unterbewusstsein am Werk … und hat dir die Hand geführt. Vielleicht wolltest du ja insgeheim mit Genevieve zusammen sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, und ich habe sie auch nicht gemalt. Ich wünschte, du könntest mir das glauben, Katy.«
»Warum ist dir das eigentlich so wichtig, Merlin?«
»Weil die Wahrheit immer wichtig ist«, antwortete er und ich konnte ihn nicht ansehen, denn es klang so ehrlich. Er ließ den Kopf hängen. »Du und Genevieve – ihr zwei seid mir ein Rätsel. Immer wenn man denkt, man kommt euch näher, seid ihr längst schon wieder Lichtjahre entfernt.«
Ich schloss die Augen, denn Merlin sprach genau das aus, was auch ich ihm gegenüber immer empfunden hatte. »Jetzt bist du aber mit Genevieve zusammen«, konnte ich mir nicht verkneifen zu betonen. »So rätselhaft wird sie inzwischen kaum noch für dich sein.«
Merlin schüttelte den Kopf und wirkte fast verzweifelt. »Katy, Genevieve war immer da, während du nie wirklich greifbar warst.«
Ich sah ihm in die Augen. »Aber jetzt spielt das doch keine Rolle mehr.«
Plötzlich war ich überwältigt von der Erkenntnis, dass wahr war, was ich soeben gesagt hatte. Ich glaubte tatsächlich nicht, dass Merlin und ich uns noch jemals etwas bedeuten konnten, und die heutige Begegnung mit ihm war deshalb für mich auch wie ein Abschied von einem Teil meiner Persönlichkeit.
»Dann ist jetzt alles wieder okay zwischen uns, Katy?«
»Natürlich.«
Merlin schüttelte den Kopf, als ob er sich wachrütteln wollte. »Genevieve hat mich gebeten, dir den aktuellsten Designwettbewerb im Netz zu zeigen. Der Preis ist ein einwöchiges Praktikum in einem der großen Modehäuser.«
»Danke, aber die Ausschreibungsdetails find ich sicher auch im College. Miss Clegg hängt sie eigentlich immer am Schwarzen Brett aus«, sagte ich, bemüht, nicht undankbar zu klingen.
»Genevieve meinte aber, dass es sich um eine ganz besondere Ausschreibung handelt, von der man normalerweise nicht erfährt.« Er drehte den Laptop in meine Richtung. »Sie hat sie unter ›Favoriten‹ abgespeichert, mit dem Dateinamen ›Nur Für Katy‹ .«
Empört über Genevieves Unverfrorenheit klickte ich die Datei an und wartete, bis sie auf dem Bildschirm erschien.
»Ist die Verbindung zu langsam?« Er lächelte, während ich das Gefühl hatte, als ob sich der Boden unter mir öffnen und ich in einem schwarzen Loch versinken würde. Ich starrte so lange auf den Bildschirm, wie ich es in Merlins Anwesenheit riskieren konnte, las den Text wieder undwieder und hoffte, dass ich ihn vielleicht einfach nur falsch verstand. Dann stand ich eilig auf.
»Merlin, ich muss jetzt gehen, mir ist da plötzlich etwas eingefallen.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja … ich muss nur schnell nach Hause. Dann bis … demnächst vermutlich.«
»Das kann schneller sein, als du denkst«, sagte er flachsend, aber ich war zu erschrocken, um darauf zu reagieren.
Wahrscheinlich stellte ich den Rekord darin auf, gleichzeitig anderthalb Kilometer zu rennen und eine SMS zu schreiben, denn ich drosselte mein Tempo nicht, bis unser Straßenschild in Sicht kam. Dann sackte ich mit einem stechenden Schmerz in der Seite und klopfendem Herzen an der Mauer neben unserem Haus zusammen und mir wurde übel vor Angst und Erschöpfung. Ich war so erleichtert, dass ich Lukes Auto vor seinem Haus stehen sah, denn ich musste ihm unbedingt erzählen, was Genevieve mir hatte zeigen wollen. Seine Mutter öffnete
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