Besessene
Seitenscheitel und kopierte mein Make-up. Lidschatten benutzte ich ja kaum und mir gefielen die dunklen Lippenstifttöne, weil sie so gut zu meinem hellen Teint passten. Außerdem hatte ich in den vergangenen Wochen wohl abgenommen, denn meine Jeans hingen jetzt eher auf Hüfthöhe, was uns noch ähnlicher erscheinen ließ. Genevieve hatte im Gegensatz zu mir offensichtlich kein Problem damit. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, meinen Mantel auszuziehen, aber es war kalt und ein feuchter Nebel war aufgekommen, der einem den Atem nahm und so dicht war, dass er in meinem Mund den gleichen Geschmack hinterließ wie ein verpuffter Feuerwerkskörper.
»Was mag Nat denn so?«, fragte Genevieve, als wir aus dem Bus stiegen. Die Leute starrten sie an, das fiel mir auf, und ich wusste ja, dass sie etwas an sich hatte, das sie, genau wie Merlin, von der Menge abhob.
Ich beschloss, meinerseits eine kleine Gemeinheit zu inszenieren. »Was hältst du von Mütze und Schal?«
Nat hasste Mützen in jeder Form, weil ihre Haare so unbändig waren, und Schals erinnerten sie an Vogelscheuchen und an alte Leute, wie sie immer sagte.
Genevieve fixierte mich mit ihrem starren Blick. »Und das gefällt ihr, meinst du?«
»Sie wird es lieben«, log ich.
»Das könnte ich hinkriegen. Warum macht sie eigentlich keine Party?«
Ich grinste in mich hinein, weil ich an letztes Jahr denken musste. Da hatten wir bis zum Morgengrauen getanzt und waren dann auf dem Nachhauseweg in den Stadtbrunnen gesprungen. Ich hatte mir eine schlimme Erkältung geholt und konnte eine Woche lang nicht in die Schule gehen, aber das war es mir wert gewesen.
»Ihre Mutter hat es ihr nicht erlaubt … ihr sechzehnter Geburtstag war … na ja, ein bisschen wild.«
»Kann mir hier absolut nichts Wildes vorstellen«, sagte Genevieve leicht säuerlich.
Obwohl wir erst Ende Oktober hatten, waren die Läden schon voller Weihnachtsschmuck und die Schaufenster mit künstlichen Weihnachtsbäumen und noch künstlicherem Schnee dekoriert – verschnürte Päckchen, prasselnde Pappfeuer, Lametta, Weihnachtskugeln –, alles, was das Herz begehrte. Es war kitschig, doch mich packte die gleiche Aufregung wie mit sieben Jahren. Ich folgte Genevieve in einen Laden mit Kunsthandwerk und ein freudiger Schauder lief mir über den Rücken, als ich mir mein erstes Weihnachtsfest mit Merlin vorstellte.
Genevieve entschied sich für etwas Wollenes in einem scheußlichen Flaschengrün, das Nat mit Sicherheit nicht leiden konnte, da sie viel eher der Typ sonniges ausgeflipptes Hippiemädchen war. Ich hatte bereits ein riesiges Kissen für sie genäht und mit gelben und orangefarbenen Katzen bestickt, weil sie auf die total stand. Es war mehr als fies von mir, aber ich musste einfach grinsen, wenn ich mir vorstellte, wie Nat sich bemühte, Begeisterung vorzutäuschen, wenn sie Genevieves Geschenk auspackte und anschließend Schal und Mütze tragen musste, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen.
»Okay … das hätten wir«, murmelte ich, als wir den Laden verließen. »Ich muss nichts anderes mehr besorgen … dann mache ich mich jetzt mal auf den Heimweg.«
Ungläubig stieß Genevieve hervor: »Jetzt tu nicht so, Katy. In Wahrheit kannst du dich doch gar nicht von mir losreißen.«
»Ich bin nur Nat zuliebe mit dir hier … freiwillig halte ich mich ganz sicher nicht in deiner Nähe auf.«
Ihre Stimme klang weich wie Seide, als sie sagte: »Gib es doch einfach zu. Du hast die Sache eingefädelt. Mag sein, dass es dir selbst nicht klar ist, aber dein Unterbewusstsein möchte gern in meiner Nähe sein.«
Allmählich begriff ich, dass Genevieve die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf stellte; sie konnte alles so hinbiegen, dass Weiß Schwarz war und Schwarz Weiß. Ich musste mich zusammenreißen, damit mich nicht die helle Wut packte, versuchte also, ruhig zu atmen und an Luke zu denken, der mir geraten hatte, mich nicht von ihr aus dem Konzept bringen zu lassen.
»Pass auf, was du dir wünschst«, flüsterte Genevieve und sah zum Himmel hinauf. »Du hast dir den perfekten Freund gewünscht und hast Merlin bekommen … und du hast dir einen Menschen gewünscht, der eine ganz besondere Rolle in deinem Leben spielt. Hier bin ich, Katy. Jemand, der dich … durch und durch versteht.«
Was Genevieve da sagte, kam der Wahrheit bedenklich nahe. Ich hatte mir tatsächlich einen Freund und eine beste Freundin gewünscht, die ich ja nie gehabt hatte.
Sie
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