Besessene
stürmischen Tag. Es war glamourös, aber nicht so wie die Kleider, die irgendwelche Stars tragen, und dass auf dem Preisschild 20 Pfund stand, war schlichtweg nicht zu fassen.
»Das ist die Stange mit den beschädigten Kleidern«, belehrte uns die Frau. »Dieses Abendkleid hat einen Riss und außerdem ist es nicht gesäumt. Man kann es kaum noch reparieren, also werdet ihr es euch wohl noch mal überlegen müssen …«
Ich war überzeugt, dass Genevieve die Stelle ganz wunderbar, viel geschickter als ich und nahezu unsichtbar ausbessern würde, doch ich wollte das Kleid trotzdem haben. Wenn sie es mir vor der Nase wegschnappte, war die Party für mich verdorben, denn kein anderes Kleid kam an diesen unglaublichen Fund heran. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin beschloss, sich als Beziehungstherapeutin einzubringen.
»Vielleicht ist es besser, wenn keine von euch es kauft, Mädels; es lohnt sich wirklich nicht, eine Freundschaft wegen eines Kleides aufs Spiel zu setzen.«
Freundschaft! Ich versuchte, mir ein Grinsen zu verkneifen, und knuffte Genevieve spielerisch in den Arm. »Das würden wir doch nie zulassen, oder?«
Genevieve streckte trotzig das Kinn nach vorn. »Wem von uns beiden das Kleid passt, der geht damit zum Ball … und ich probiere es als Erste an.« Genauso gut hätte sie noch hinzufügen könne, dass auch der Märchenprinz bald ihr gehören würde und die gläsernen Schuhe wie angegossen saßen.
Mitleidige Blicke richteten sich auf mich. Warum, das war eindeutig – Genevieve würde in dem Kleid tausendmal besser aussehen als ich und wahrscheinlich würde es noch mehr zerreißen, wenn ich versuchte, mich hineinzuquetschen. Sie brauchte nicht lange, um sich umzuziehen. Eine selbstbewusst blasierte Gestalt trat aus der Umkleidekabine, die eigentlich nur aus einem Vorhang bestand, den man um eine dunkle Ecke des Ladens herum angebracht hatte. Es war einfach zu ärgerlich: Das Meerjungfauenkleid hätte eigens für sie entworfen sein können und eine Messerklinge wand sich in mir mit stechender Eifersucht. Sie tänzelte im Laden auf und ab und betrachtete sich stolz in einem großen durchgehenden Spiegel. Selbst die anderen Kunden blieben stehen, um sie zu bewundern. Mein Gesicht erstarrte zu einem idiotisch süßlichen Grinsen, als ich sah, wie eine Dame auf Genevieve zuging, um ihr die Schleppe zu halten.
Hätte ich in diesem Moment weggesehen, wäre mir entgangen, was jetzt geschah, aber ich war auf grauenhafte Weise wie hypnotisiert und starrte sie weiter an, fast so, als wollte ich mich selber quälen. Zwei Hände nahmen Genevieves Haare im Nacken zusammen, um zu sehen, wie es wirkte. Ich erwartete, dass sie den Kopf in alle Richtungen drehen und in der allgemeinen Aufmerksamkeit schwelgenwürde, aber ihre Reaktion war mehr als überraschend. Ärgerlich wich sie zurück und schüttelte den Kopf, bis ihre Locken wieder die Schultern bedeckten. Dann stapfte sie zurück in die Kabine und zog den Vorhang mit einem Ruck zu.
Doch bevor all das geschah, hatte ich die Narben auf ihrem Rücken gesehen. Narben, die beinahe so aussahen, als ob Genevieve einmal Brandwunden davongetragen hätte.
Kapitel 18
N ach allem, was Luke für mich getan hatte, war es natürlich unverzeihlich, ihm nicht sofort zu erzählen, was ich gesehen hatte. Aber ich musste mich einfach auf das wichtigste Ereignis in meinem Leben konzentrieren: den Ausflug mit Merlin am Freitag. Die noch verbleibenden Tage befand ich mich in einem Zustand nervöser Ekstase, weil ich versuchte, alles so perfekt wie möglich vorzubereiten. Merlin hatte einen Campingplatz gebucht, der zwar nur etwa 25 Meilen – eine Stunde Fahrtzeit also – von uns entfernt lag, doch immerhin weit genug, dass wir uns keine Sorgen machen mussten, von jemandem gesehen zu werden. Mum hatte mir grünes Licht gegeben: Ich durfte am Freitag bei Hannah übernachten und dort auch schon zu Abend essen, was bedeutete, dass ich nach dem College gar nicht mehr nach Hause kommen musste. Ich hatte eine kleine Tasche gepackt, die ich mitnehmen wollte, und Merlin war für den Rucksack verantwortlich, in dem sich unser Zelt und all das befand, was wir für unseren Trip benötigten. Wir wollten ihn zusammen bei Merlin zu Hause abholen und dann direkt zum Bahnhof gehen.
Donnerstagnacht war es mir völlig unmöglich einzuschlafen. Alle paar Minuten sah ich auf meine Digitaluhr,aber die Zeit war buchstäblich stehen geblieben. Irgendwann musste ich dann doch
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