Besser verhandeln - Das Trainingsbuch
konnten.
Ich schloß einen Moment die Augen. Nach den endlos langen
Stunden dieses Tages begannen sie zu brennen und zu schmerzen. Das ist ein Tag, den du vergessen mußt, den du in einer geheimen Ecke deines Bewußtseins verbergen und vergraben mußt, damit du dich der Qual dieses schmerzlichen Verlustes, der dich getroffen, nicht mehr erinnerst. Vergiß den metallischen Klang der Schaufel, den Schauer von feuchter Erde und kleinen Steinen, der auf den Sarg niederprasselte. Vergiß, vergiß, vergiß.
Aber wie kannst du all das jemals vergessen? Wie kannst du die Güte der Nachbarn vergessen, ihr Mitgefühl, ihre Hilfsbereitschaft? Du hattest kein Geld, und dein Kind hätte in einem Armengrab liegen müssen, wären sie nicht gewesen. Fünf Dollar hier, zwei Dollar dort, zehn Dollar, sechs Dollar - alles in allem siebzig Dollar. Um den Sarg zu bezahlen, die Messe, das Grab, den Ruheplatz für ein Stück von dir, das nicht mehr war. Siebzig Dollar ihrer eigenen Armut abgerungen, um die Bitternis deines Schicksals ein wenig zu mildern. Du willst vergessen, aber einen Tag wie diesen kannst du nie vergessen. Ebenso wie sie niemals vergessen werden wird. Es ist seltsam, aber sogar vor dir selbst widerstrebt es dir, ihren Namen auszusprechen - statt dessen sagst du >sie<. Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. In meinen Ohren lag es wie ein dumpfschmerzender Nebel. »Sprich ihren Namen aus!« befahl ich mir verzweifelt, »sprich ihn aus!«
Ich holte tief Atem, meine Lunge schien bersten zu wollen. »Vickie!« Der Name dröhnte, wenn auch unhörbar, in meinen Ohren. Und es war ein triumphierender Ton. »Vickie!« Und wieder brannte sich ihr Name in mein Denken. Es ist ein sieghafter, ein glorreicher Name... für einen Lebenden.
Doch jetzt ist er's nicht mehr. Verzweiflung überwältigte mich. Von jetzt an ist er nichts mehr. Nur das >sie< wird bleiben, das wußte ich irgendwie.
Ich zog noch einmal an meiner Zigarette, dann drückte ich sie aus. »Glaubst du nicht, daß es am besten wäre, wenn du dich ein bißchen hinlegen würdest?« fragte ich. Langsam wandte Nellie mir ihr Gesicht zu. »Ich bin nicht müde«, erwiderte sie. Ich nahm ihre Hand. Sie war eiskalt. »Es ist doch besser, wenn du dich hinlegst«, sagte ich eindringlich.
Sie sah rasch zur Schlafzimmertüre, dann wieder zu mir zurück. Es war ein Blick unendlicher Verlassenheit. »Danny, ich kann nicht dort hineingehen, ihre Wiege, ihr Spielzeug.« Ihre Stimme brach.
Ich wußte genau, was in ihr vorging, und auch meine Stimme zitterte, als ich wieder zu sprechen vermochte. »Jetzt ist alles vorbei, Baby«, flüsterte ich, »du mußt weiterleben, du mußt dich aufraffen.«
Sie klammerte sich wild verzweifelt an meine Hand. Ein hysterischer Ausbruch flammte in ihren Augen. »Wozu, Danny, wozu?« schrie sie.
Ich mußte ihr antworten, obwohl ich nicht wußte, was ich sagen sollte. »Weil du mußt«, erwiderte ich lahm, »weil sie es gewollt hätte.«
Ihre Nägel gruben sich in meine Handflächen. »Sie war ein Baby, Danny, mein Baby!« Ihre Stimme brach plötzlich, und zum erstenmal, seitdem es geschehen war, kamen die erlösenden Tränen. »Sie war mein Kind und wollte doch nur eines: leben! Und ich, ich habe ihr dieses furchtbare Schicksal bereitet, ich habe sie jämmerlich im Stich gelassen!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich.
Ich legte meine Arme unbeholfen um ihre Schultern und zog sie an mich. Ich versuchte, soviel Tröstliches in meine Stimme zu legen, als ich vermochte. »Es war nicht deine Schuld, Nellie. Niemand war schuld daran. Es war Gottes Wille.«
Ihre Augen schimmerten matt in ihrem blassen Gesicht. Langsam schüttelte sieden Kopf. »Nein, Danny«, sagte sie in hoffnungslosem Ton, »es war meine Schuld. meine Schuld von allem Anfang an. Ich habe eine Sünde begangen, und durch mich hatte auch sie Anteil daran. Sie mußte für meine Sünde bezahlen, nicht ich! Ich hätte es besser wissen müssen! Wie durfte ich annehmen, ich verstünde es besser als Gott!«
Als sie jetzt zu mir aufsah, flammten ihre Augen in einem Fanatismus, den ich bisher nie bemerkt hatte. »Ich habe gesündigt und in Sünde gelebt«, fuhr sie düster fort, »ich habe nie versucht, Gottes Segen für meine Ehe zu erbitten. Ich war bereit, mich mit den Worten der Menschen zu begnügen. Wie konnte, wie durfte ich Seinen Segen für mein Kind erwarten? Pater Brennan hat es mir von Anfang an gesagt.«
»Pater Brennan hat nichts
Weitere Kostenlose Bücher