Besser
muss hier sein, ich bin eine Geworfene, ich habe keine Wahl.
Jenny hat eine Wahl, jeden Tag, jedes Mal wieder, und sie wählt immer dasselbe.
«Und der Sex war noch nie so schön.»
«Das höre ich ja gerne.»
«Gell.»
«Ja.»
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Zehn
Der Lift braucht lange, bis er kommt, und dann geht die Tür sehr langsam auf. Du könntest noch umdrehen, einfach weggehen. Du machst einen Schritt in die Kabine hinein, Edelstahl mit einem großen Spiegel links, zwei Schritte, und lehnst dich dann mit dem Rücken an die Rückwand. Vierter Stock, sagte er durch das Telefon, du drückst auf die Vier. Dann rechts, die zweite Tür, sagte er. Du weißt nicht, was dich dazu getrieben hat, herzukommen. Aber du bist hier. Du weißt, was passieren wird, und du willst nicht, dass es passiert, aber du bist dennoch hier. Der Lift hat eine Decke aus Chromstahl, mit unterschiedlich großen Löchern, durch die blendendes Licht scheint. Das Licht lässt dich im Spiegel blass aussehen, fahl, fleckig, hinter den Gläsern deiner Brille hast du Ringe unter den Augen. Es gibt attraktive Augenringe, Augenringe, die einen interessant aussehen lassen, deine tun es nicht. Du solltest auch keine schwarzen Sachen mehr tragen. Du hättest gar nicht in den Spiegel schauen sollen, hättest dich mit dem Rücken an den Spiegel lehnen sollen, jedes Mal in solchen Aufzügen nimmst du dir das wieder vor und jedes Mal machst du wieder denselben Fehler. Man sollte aus Fehlern lernen. Andere lernen aus Fehlern. Du nicht. Du bist hier und fährst mit dem Fahrstuhl einem neuen Fehler entgegen, der alten Fehlern entspringt, aus denen du eigentlich lernen hättest sollen. Du weißt, dass du das bereuen wirst. Du weißt, dass es kurz gut sein und dass es dann wehtun wird, lange wehtun wird. Der Lift wird langsamer, es kommt dir unendlich vor, dann hält er an und eine weitere Unendlichkeit später schiebt sich die Tür langsam ineinander. Ein schäbiges, finsteres Treppenhaus erwartet dich, es passt nicht zu dem grellen Glanz des Fahrstuhls, aus dem du trittst. Das Leuchten hinter dir wird weniger, dann ist die Tür zu. Du stehst allein im Halbdunkel. Du hast noch eine Chance. Das Leben gibt dir jetzt, in diesem Moment, noch eine Chance, der Narbe zu entkommen, einer Messernarbe an einem Adamsapfel, es heil nach Hause zu schaffen, ohne weitere Verletzungen, die endlos schmerzen und zu Fanalen deiner Dummheit vernarben werden, die du pflegen und verblassen lassen musst und irgendwie in dein Leben integrieren. Du solltest wieder hinunterfahren, Moritz anrufen. Moritz weiß nicht, dass du da bist, denn wenn er es wüsste, wärst du nicht da. Du solltest Moritz anrufen. Oder Adam, ruf Adam an, erzähl ihm irgendeine Geschichte, irgendwas, er wird kommen und dich holen und retten. Er wird dich in den Arm nehmen und von diesem Haus weg und nach Hause bringen, in dein Zuhause, weg von hier, weg von deiner Vergangenheit, in Sicherheit. Du wirst vor dem Haus oder um die Ecke auf ihn warten, es wird dir schlecht geworden sein, du wirst einen Kreislaufkollaps gehabt haben oder irgendwas, Adam wird dich retten, wird dich retten ohne es zu wissen, vor dem, das hinter der Tür auf dich wartet. Vor dem Einen, der hinter der Tür da vorne wartet, nur dort, nur hinter dieser einen Tür. Du brauchst nur nicht durch diese Tür zu gehen. Überall anders ist dein gutes, dein richtiges Leben, nur nicht hinter dieser einen Tür, einer braunen Tür mit einem kleinen, weißen, ovalen Emailleschild, auf dem eine schwarze « 42 » steht. Eine « 42 ». Zweiundvierzig ist eine böse Zahl. Zwei und Vier sind schlechte Zahlen. Deine Zahlen sind Drei und Sechs und Neun, alles, was gut ist in deinem Leben hat eine Drei, eine Sechs oder eine Neun in sich, das sind deine Zahlen, nicht Zwei und Vier, Zwei und Vier sind böse, Zweiundvierzig ist böse, Vierundzwanzig ist sehr, sehr böse, an einem Vierundzwanzigsten ist es passiert. Du solltest nicht auf eine Vier und eine Zwei zugehen. Du musst nicht an diese Tür klopfen, du brauchst nur nicht durch diese Tür zu gehen, und alles wird gut und deine Seele bleibt gesund. Du kannst einfach wieder in den Lift steigen hinter dir, dich umdrehen, auf den Knopf drücken und durch die sich ineinanderschiebende Tür treten oder rechts davon die Treppen hinunter schleichen. Du warst noch gar nicht da, es ist noch gar nicht passiert, und es würde nichts passieren, wenn du jetzt einfach nicht die paar Schritte über zertretene, schmutzige
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