Besser
gewesen wäre, verschwände er sofort nach links oder rechts, um nach Pilzen zu suchen, und er hätte mir die Plätze beschrieben, an denen man sie findet, Eierschwammerl und Steinpilze und Parasole, und die Stellen, an denen man gar nicht zu suchen braucht. Ich war froh, dass er nicht hier war und die Stille mit Worten und seiner subtilen Besserwisserei zerriss: Ich kenne mich nämlich sogar im Wald aus, und ich erkläre dir das jetzt. Ich war froh, ganz allein und unbelehrt zu bleiben, inmitten dieses dichten Grüns, in diesem süßlichen Geruch von verrottendem Laub und weicher, schwarzer, bemooster Erde und duftenden, frischen Pflanzen, ganz für mich in dieser Wortlosigkeit. Ich ging langsamer weiter. Nach ein paar Schritten öffnete sich der Wald mit einem Mal, da war der Fluss, weit unter mir, in einer riesigen Kurve schoss er von links um ein steiles Felsmassiv, auf dem ich stand, und ich hörte das Rauschen, das Glucksen. Ich war überwältigt von dieser plötzlichen Aussicht und völlig überrascht. Jenny hatte immer von einem Bach gesprochen, ich hatte mit diesem Anblick nicht gerechnet, nicht damit, dass der Fluss so breit, so kraftvoll sein würde. Ich blickte seinem Lauf nach, sah, wie er weiter unten fast auf meinen Weg traf, ihn beinahe berührte, sich fast schüchtern zum Weg gesellte, um dann sanft neben ihm herzufließen, immer neben ihm her, soweit ich von oben sehen konnte. Ich ging den Weg hinunter und konnte aufrecht unter dem Stamm eines Baumes durchgehen, den ein Sturm weiter oben im Waldhang entwurzelt und wie einen Dachbalken schräg über den Weg gelegt hatte. Es sah aus, als läge der Baum da schon ewig. Ich fuhr mit der Hand über seinen Stamm, rüttelte daran, er bewegte sich nicht. Da, wo der Weg direkt am Fluss verlief, standen keine Bäume mehr am Ufer, und ein paar hundert Meter lang schien die Sonne auf den Kies und auf die Brombeeren, die auf der anderen Seite den Hang überwucherten, durchsetzt mit Büschen voller blauer Beeren, die wie Heidelbeeren aussahen, aber an stacheligen Stängeln wuchsen. Heidelbeeren haben keine Stacheln, so viel weiß ich noch von den Tagen, als ich mit Adam in den Bergen war und wir sie neben den Almwegen gepflückt und in Elenas kleines, lila verschmiertes Gesicht gesteckt hatten, die sich mit sowas damals noch füttern ließ. Jetzt nicht mehr. Ich setzte mir die Kappe wieder auf, ich fühlte, wie meine Turnschuhe auf dem Kies knirschten. Der Weg war von Traktoren in drei Streifen zerlegt, an manchen Stellen wucherte Grün, aber ich hörte meine Schritte nicht, ich hörte nur das nun leisere Gluckern des Flusses, der jetzt seicht und langsam über Steine floss und an den Felsen leckte, die sich in sein Bett gelegt hatten. In den Buchten lagen große Teppiche kleiner weißer Blüten fast unbeweglich auf dem Wasser, als sei es ein stiller See, die Wellen schoben sich sanft unter ihnen durch. Ich sah Fische springen, Forellen wahrscheinlich. Dann drängten sich wieder einzelne Bäume zwischen mich und das Wasser, die bald wieder so dicht und nah am Weg standen, dass ich durch einen kühlen, grünen Tunnel wanderte. Ich ging. Ich traf auf keine Menschen, nur auf ihre Spuren: eine Holzbank zwischen den Bäumen, Wegmarkierungen, eine kleine, verschlossene Anglerhütte, und irgendwo tief im Wald stand ein Pfahl mit einer darübergestülpten blauen Tonne, deren Zweck ich nicht durchschaute. Ich ging langsam weiter, und neben mir ging der Fluss und murmelte vor sich hin. Die Sonne brach durch die Bäume, das grüne Laub leuchtete, und mit einem Mal wurde ich von einem Gefühl von Dankbarkeit überschwemmt, die mich so ausfüllte, dass es mir die Tränen aus den Augen drückte. Und einen Moment lang wünschte ich mir eine übergeordnete Instanz, einen Gott, irgendeinen Adressaten für meine Dankbarkeit. Ich wollte irgendwo hin damit, ich wollte sie irgendwo abgeben. Ich wünschte, es gäbe einen Gott, nur für diesen wunderbaren Augenblick, für diese üppige, unsinnige, verschwenderische Schönheit um mich herum, für die ich gern gedankt hätte. Ich hatte mir auch früher schon gewünscht, dass es einen Gott gibt, ich wollte einen Gott, um ihn zu verfluchen. Ich wollte ihn verfluchen für meine beschissene Kindheit, für meine kranke, versoffene Mutter, für die Lieblosigkeit, für das Schweigen, die Gewalt, die Einsamkeit. Und ich wollte ihn verfluchen für die kurzen Momente, in denen sie für mich da und eine Mutter war, nur um sofort wieder zu
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