Besser
mit einem Handtuch auf dem Kopf ins Schlafzimmer gegangen.
Wie kam der bitte darauf? Wie kam der auf mich? Eine sichtbar, ja glücklich verheiratete Frau und Mutter zweier Kleinkinder? Der machte ja wohl vor nichts halt. Oder hatte er etwas bemerkt? Wahrscheinlich probierte er das bei jeder, die er auf Facebook erwischen konnte, der war es vermutlich gewohnt, dass ihn jeder und jede interessant fand, den verwegenen Kriegsreporter. Eingebildeter Trottel. Was wollte der von mir? Oder hatte ich eben was missverstanden? Nein, hatte ich nicht, das war ja wohl eindeutig. Peinlich irgendwie. Hatte ich nicht vermutet, dass der so peinlich ist. Na ja, die wilden Kerle. Das würde wohl schon einen Grund haben, warum der sich in Kriegen beweisen musste. Idiot.
Ich hatte Slip und BH aus der Schublade gewühlt, eine weiße Jeans aus dem Schrank gezogen und nach einem passenden, nicht zu eng anliegenden Oberteil gefahndet. Hatte mich im Spiegel betrachtet und unförmig gefunden. Ich hatte die Jeans wieder abgestreift, eine schwarze angezogen und es für besser, aber noch immer nicht gut befunden. Zu fett, viel zu fett. Ich habe geübt und gelernt und mir mühsam antrainiert, mich schöner zu finden, wenn mir nicht jeder Knochen aus dem Körper ragt, aber in dunkleren Phasen, in unkontrollierten Augenblicken dringt noch immer das alte Ideal meiner Selbstwahrnehmung durch die Schutzschicht meiner Vernunft: dünner, viel dünner. Was den bloß antrieb. Aber. War mir doch komplett egal. Was für ein Scheiß auch. Ich hatte jedenfalls kein Interesse. Es gab, während ich beim Versuch, die schlechtsitzende, zu enge Jeans besser über den Hintern zu bekommen, eine Gürtelschlaufe abgerissen und sehr geflucht hatte, keinen Zweifel daran, dass ich kein Interesse spürte, keinen Millimeter. Ich hatte das Top über die ruinierte Schlaufe drapiert, registriert, dass die Sonne durch die Wolken gebrochen war und einen gleißenden Streifen auf die Weißtannendiele malte, war zurück in die Küche marschiert, hatte mich auf die Bank gesetzt, den Laptop wieder aufgeklappt und mich auf Facebook offline gestellt. Davor hatte ich noch registriert, dass er auch nicht mehr da war, und ich hatte seinen Namen oben ins Suchfeld eingetippt und seine letzten Statusmeldungen überflogen und seine Pinnwandfotos, und die Bilder, in denen er zwischen aufgeregten, dunkelhäutigen Männern und in leeren, totgebombten Wüsten herumstand oder von kleinen, schmutzigen Kindern umringt wurde, in schlammfarbener Kleidung, mit Schutzhelm oder Schirmkappe am Kopf, einer fetten Kamera um den Hals und manchmal mit einem Mikrophon vor dem Gesicht, und dann hatte ich den Laptop ausgeschaltet.
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Dreißig
Ich brauche Laufschuhe. So geht das nicht weiter. Ich muss mit dem Laufen anfangen. Ich war mit Moritz im Kino, habe mir den Film angesehen, in dem Michael Fassbender, wenn er nicht gerade vögelt, immer rennt, nachts durch die Stadt, es ist unglaublich klar und zwingend und sexy und sieht ganz leicht aus. Dann sah ich im Fernsehen einen Film, in dem ein Räuber immerzu rennt. Der Räuber ist sehr mager, sehnig und konzentriert, so, wie ich sein will, oder wie ich es bin, innerlich, unter meiner Schicht aus prallem Fleisch und üppigen Lügen, tief drinnen, wo meine wahre Persönlichkeit sich verbirgt: Diese Persönlichkeit ist sehr klar und sachlich und bei sich, und sie hat lange, feste, gut geformte Schenkel, die beim Gehen nicht aneinanderstreifen, sondern eine kleine, ellipsenförmige Lücke bilden, durch die man hindurchsehen kann. Diese Persönlichkeit hat einen straffen, festen, muskulösen Bauch, Rippen, die man zählen kann, und straffe, perfekt definierte Oberarme, mit starken, runden Schultern. Ich fühlte mich erkannt von dem Film, aber auch ertappt und bloßgestellt, ja: verspottet, wie ich da so dicklich und winterschlapp auf dem Sofa lag, mit einem Glas Prosecco und einer Dose Erdnüsse. Eben, während der Werbung, war ich noch nicht so dick gewesen, aber jetzt, vielen Dank auch. Und ich merkte: Ich will, nein, ich muss auch laufen. Man wird ja vom Laufen auch so klar im Kopf, behaupten jedenfalls alle. Ich kenne den Schauspieler, der den Räuber gespielt hat, er wurde mir einmal vorgestellt, auf einer Vernissage, bei der ich mit Jenny und einer ihrer Freundinnen war, die einmal was mit dem Schauspieler gehabt hatte. Er hatte ganz nett gewirkt und auch immer noch fit, allerdings nicht mehr ganz so sehnig wie in dem Film;
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