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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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Stöckelschuhe mit bleistiftdünnen Absätzen. Erst als sie ein gutes Stück weiter war, stieg mir ihr wohlriechendes, starkes Parfüm in die Nase.
    Der Duft erinnerte mich an etwas, das ich vor ein paar Tagen ganz weit hinten in meinem Gedächtnis abgelegt hatte. Harry sprach bei der Gelegenheit immer davon, dass »die Alarmglocken läuten«. Oft handelte es sich um Zufälle, oder man interpretierte eine Aussage oder Handlung falsch. Und dann schrillten die Alarmglocken, wobei es sich in den meisten Fällen um falschen Alarm handelte. Ernst nehmen musste man die Glocken nur, wenn sie richtig laut schellten, was seit meiner Ankunft in New York schon mehrmals vorgekommen war.
    Eine Viertelstunde später stand ich in der Parfümabteilung von Macy’s und studierte die Testflakons, bis ich die kleine Kristallflasche entdeckte, an der Shelly geschnuppert hatte.
    Die Verkäuferin, eine Dame Mitte sechzig mit grauen Locken, kam herbeigeeilt, als hätte sie ein Stinktier gerochen, das in ihrem Lilienbeet sein Unwesen trieb.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Ist das ein gängiger Duft?«, wollte ich wissen.
    »Wir haben nur ausgefallene Düfte.«
    »Nein, ich meine, verkaufen Sie den oft?«
    »Er ist ziemlich kostspielig und extravagant. Eine sehr subtile Komposition.«
    »Darf ich daraus schließen, dass dieses Parfüm eher selten über den Ladentisch geht?«
    Sie dachte kurz nach und tippte dabei mit einem blutrot lackierten Fingernagel auf ihren Leberfleck.
    »So könnte man es formulieren.«
    Ich bedankte mich bei der Dame, verließ das Kaufhaus und musste immer wieder an meinem Handgelenk riechen.
    Je stärker der Duft sich verflüchtigte, desto konkreter wurde meine Erinnerung. Sehr merkwürdig. Ich zog das Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
    »Sie haben die Mailbox von Harry Nautilus erreicht. Bitte hinterlassen Sie nach dem Pfeifton eine …«
    Ich hinterließ nur eine kurze und eindringliche Nachricht.
    »Harry, hier ist Carson. Ich habe eine dringende Bitte, Bruder. Ich stecke hier schwer in der Klemme, aber wenn ich Glück habe und mein Plan hinhaut, komme ich vielleicht ungeschoren davon. Ich wäre dir also dankbar, wenn du Folgendes für mich tust und … wie immer … so schnell wie möglich …«
    Ich kehrte ins Hotel zurück und schaltete das Handy aus, damit ich in Ruhe nachdenken konnte. Das rote Lämpchen vom Hoteltelefon verriet mir, dass jemand eine Nachricht für mich hinterlassen hatte.
    »Hallo, Detective Ryder«, sagte Waltz mit unbewegter Stimme. »Hören Sie, bislang habe ich es versäumt, Sie einzuladen. Könnten Sie heute Abend um neun bei mir vorbeischauen? Ich würde mich gern mit Ihnen über etwas unterhalten.«
    Nun schrillten die Alarmglocken so laut, dass ich sie beim besten Willen nicht mehr ignorieren konnte. Da schaltete ich mein Handy wieder ein, legte es auf den Tisch und betete, dass Harry sich bald mit Neuigkeiten meldete, die das Läuten abstellten.

KAPITEL 28
    Bei strömendem Regen stieg ich in Brooklyn aus dem Taxi, zog die Kappe tief in die Stirn und sprintete zu einem blau gestrichenen Haus hinüber. In dieser Gegend waren alle Häuser bunt verputzt. Shelly öffnete schon die Tür, als ich die Stufen hinauflief.
    »Willkommen, Detective. Treten Sie ein.«
    »Gibt es etwas Neues über Alice?«, fragte ich ihn.
    Er schüttelte den Kopf. Hinter seinem Rücken stand ein Esstisch, auf dem sich die Unterlagen türmten.
    Er folgte meinem Blick. »Ich habe die Akten studiert, die Ihr Partner geschickt hat. Und noch ein paar andere. Ich arbeite meistens am Esstisch und nehme meine Mahlzeiten an der Küchentheke ein, weil da der Fernseher steht. Tja, die Freuden des Junggesellendaseins.«
    »Waren Sie mal verheiratet, Shelly?«
    Er zögerte kurz. »Ich habe mal mit dem Gedanken gespielt, aber im Nachhinein betrachtet war das eine hirnrissige Idee.«
    Waltz ging zur Küchentheke und schenkte sich einen Drink ein. Da ich Waltz nicht richtig einschätzen konnte, war ich mir unsicher gewesen, wie er wohl wohnte, und hatte zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: Entweder war er der ordnungsliebende Typ, oder er hauste in einer verlotterten Studentenbude. Wie sich herausstellte, traf beides zu. Die Zimmer mit dem dunklen Teppichboden und den pfirsichfarbenen Wänden waren wohnlich und mit gediegenen Möbeln eingerichtet. Im Wohnzimmer stand ein hohes Bücherregal. Nebenan gab es einen kleinen Raum mit einem Tisch, auf dem sich Bücher und Zeitschriften stapelten. Ich

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