Bestialisch
Postkarte aus der Tasche und reichte sie Waltz. Als er sah, dass es sich um Folgers Handschrift handelte, las er ihre Mitteilung.
Mach bitte, was er sagt. Alice
»Wir können Vangies Tod rächen«, flehte ich. »Wir können Folger retten. Helfen Sie mir, Shelly.«
Waltz sah mich nicht an. Draußen donnerte es. Das Licht im Haus fiel kurz aus. Er verschwand im dunklen Korridor. Ich hörte, wie er in einem der hinteren Zimmer eine Schublade öffnete, langsam wieder schloss und den Flur hinunterging. Mit gequältem Blick trat er aus dem Schatten.
Und hielt einen Revolver in der Hand.
KAPITEL 29
Die Waffe, ein,357er Colt Python, aus angelaufenem blauem Stahl war riesig. Ich legte sie in meine Hand, prüfte ihr Gewicht und gab sie Waltz zurück, der die Waffe vorsichtig auf dem Tisch deponierte.
»Das war die Dienstwaffe von Vangies Vater?«, fragte ich. »Dann war er also auch Polizist?«
»Sergeant John Edward Prowse. Ist im Dienst gestorben, als sie siebzehn war.«
»Das hat sie mir nie erzählt«, räumte ich ein und hatte auf einmal den Eindruck, als hätte ich sie gar nicht richtig gekannt.
Waltz griff in die Brusttasche seines Hemdes und zog eine Marke heraus, die wie ein frisch gepresstes Zehncentstück funkelte. »Die hier hat ihm auch gehört.«
»Sie hat Ihnen seine Marke gegeben?«
»Sie meinte, sie würde mir Glück bringen und verhindern, dass mir etwas zustößt.«
»Wann war das?«
»1973, als ich Detective wurde. Wir sind beide in Queens aufgewachsen, waren Nachbarn. Damals hielt sie mich für einen wilden Burschen. Später hat sich ihre Einstellung dann geändert.«
»Waren Sie und Vangie … ein Paar?«
Er stockte kurz, ehe er weitersprach. »Das waren die schönsten Jahre in meinem Leben. Irgendwann ist unsere Liebe zu einer Freundschaft abgeflaut.«
»Aber Sie hatten immer noch Gefühle für Vangie?«
Seine traurige Miene sprach Bände. Damals, jetzt und bis in alle Ewigkeit.
»Hat sie Ihnen gesagt, dass sie nach New York kommen wollte?«
Er stand auf und tupfte mit einem Taschentuch seine Augen ab. »Nein. Und das passte überhaupt nicht zu ihr. Normalerweise meldete sie sich immer bei mir, und dann verbrachten wir ein paar Tage miteinander, und ich tat so, als ob es mir nichts ausmachte, dass sie. irgendwann wieder abreisen und in diese verfluchte Klinik zurückkehren würde.«
Waltz ließ den Kopf hängen. Der Regen trommelte gegen das Fenster.
»Für ihre Vergangenheit habe ich mich nicht besonders interessiert«, sagte ich. »Aufgrund meiner eigenen Geschichte frage ich die Leute nicht, was früher war.«
»Als Evangeline auf die Highschool ging, wurde ihr Vater von einem Soziopathen umgebracht. Zu jener Zeit war ihre Mutter schon ein paar Jahre tot, an Krebs gestorben. Da es nur noch Vangie und den Vater gab, waren die beiden ein richtiges Team und immer füreinander da.«
»Sein Tod muss für sie eine Katastrophe gewesen sein.«
»Einen Monat lang ging sie auf Tauchstation, war nicht ansprechbar, und als sie endlich wieder aus der Versenkung auftauchte, bewarb sie sich bei der Polizei, um in seine Fußstapfen zu treten.«
»Und was geschah dann?«
»Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und besuchte den Mörder ihres Vaters im Gefängnis. Um ihn anzuspucken, wie sie mir später verriet, und um ihn die Augen auszukratzen, falls sich die Gelegenheit dazu bot.«
»Passt zu ihr.«
»Sie hatte erwartet, ein fieses, blutrünstiges Monster mit Tätowierungen zu treffen. In Wahrheit war der Täter ein dreiundvierzigjähriger Versicherungsmathematiker aus einem kleinen Kaff in Connecticut, der Frau und drei Kinder hatte. Er hörte ständig Stimmen, weshalb er kaum von ihr Notiz nahm. Mit einem Junkie, dem der Schaum vor dem Mund steht und der wild um sich schlägt, wäre sie zurechtgekommen. So einen hätte sie hassen können. Aber einen Angestellten, der behauptete, in seiner Wirbelsäule würde ein Drache hausen? Das packte sie einfach nicht.«
»Und dann hat Vangie nicht bei der Polizei angefangen?«
»Vor dem Tod ihres Vaters spielte sie mit dem Gedanken, Biologie zu studieren. Nach seiner Ermordung kam sie davon ab und belegte Psychologie. Sie interessierte sich nur noch für ihr Studienfach. Schon in der Highschool war sie eine Musterschülerin gewesen, hatte nächtelang gelesen, super Referate gehalten. Princeton wurde auf sie aufmerksam und bot ihr ein Vollstipendium an.«
»Und später hat sie dann quasi die klinische Psychologie neu erfunden.«
»Sie konnte gar
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