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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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einem Frühstückscafé. Die letzten Ausläufer des Sturms fegten durch die Stadt, und die Straßenverkäufer, die wie immer schnell reagierten, versorgten die Passanten mit schwarzen Regenschirmen. Ich schloss meinen Schirm und ging nach drinnen. Waltz saß allein an einem Tisch und starrte aus dem Fenster, wo die Fahrzeuge durch den Regen huschten.
    Nachdem ich mir einen Kaffee und ein Hörnchen geholt hatte, setzte ich mich neben Waltz. Wir beide vollführten einen gefährlichen Drahtseilakt. Keine Ahnung, wohin uns das führen würde. Wir wussten nur, dass uns eine harte Landung bevorstand, falls wir abstürzten.
    »Wie sollen wir vorgehen?«, wollte er wissen. »Darüber haben wir uns letzte Nacht kaum Gedanken gemacht.«
    »Wir sollten davon ausgehen, dass Vangie Jeremy hierher gebracht hat, um einen Irren aufzuspüren. Und dass er eine Katastrophe verhindern kann, falls er diesen Irren findet. In dem Moment, wo Ihre Kollegen das Netz zuziehen und Jeremy auf die Pelle rücken, müssen wir …«
    »Die Ermittlung kurzzeitig sabotieren«, knurrte Waltz. »Und das werden wir auch tun, wenn wir damit verhindern können, dass Folger etwas zustößt.«
    »Ich werde mich auf Vangie konzentrieren. Vielleicht finde ich ja heraus, was sie vorhatte.«
    »Und wie wollen Sie das angehen?«
    »Indem ich noch mal von vorn beginne und von der Grundprämisse Abstand nehme, die besagt, dass Jeremy dekompensiert.«
    »Aber das tut er. Darauf haben Sie selbst mehrmals hingewiesen.«
    »Vielleicht, aber jetzt muss ich davon ausgehen, dass Jeremy rational handelt, wenn auch auf seine eigene bizarre Art. Es mag ja sein, dass uns sein Tun sinnlos erscheint, für ihn jedoch mehr als logisch ist.«
    »Ich wüsste zu gerne, ob Evangeline ihn verstanden hat.«
    Ich zuckte mit den Achseln und merkte, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, ihm die Frage zu stellen, die mich seit vergangenem Abend beschäftigte.
    »Shelly, die Evangeline Prowse, die ich kannte, hat stets darauf bestanden, dass alle sie Vangie nennen. In dem Punkt war sie beinah kleinlich. Evangeline konnte sie nicht leiden. Warum nennen Sie sie so?«
    Waltz wandte sich ab und starrte in den Regen, der gegen die Scheibe prasselte und die Straße in ein kunterbuntes Kaleidoskop aus Licht und Schatten verwandelte. Seine Finger berührten die Scheibe, als könnte er die Formen und Gestalten verändern, die er sah.
    »Eigentlich mochte sie den Namen Evangeline sehr gern. Mochte den Klang und die Poesie, die darin mitschwang. Mir ging es genauso. Aber als sie nach Alabama ging, schwor sie, von nun an darauf zu bestehen, dass man sie Vangie nannte. Der Name Evangeline sollte einer einzigen Person vorbehalten sein.«
    Ich wollte etwas sagen, fand jedoch nicht die richtigen Worte. Waltz drehte sich wieder dem Fenster zu, und so saß er immer noch da, als ich ging.
    *
    Ich eilte ins Hotel zurück. Der Berg an Unterlagen und Infos, mit denen das NYPD mich versorgte, wuchs ins Unermessliche. Selbst auf dem Bett türmten sich schon die Akten. Vor lauter Haftnotizen war von der Tapete fast nichts mehr zu sehen. Dem Reinigungspersonal hatte ich verboten, mein Zimmer zu betreten, weil ich fürchtete, sie würden beim Aufräumen nur Chaos stiften.
    Ich nahm mehrere Stapel und legte sie auf den Boden, machte den Fernseher an, suchte einen Nachrichtenkanal, schaltete den Ton ab und stierte an die Decke.
    Vangie hatte Jeremy nach New York gebracht, um eine Katastrophe zu verhindern. War ihr Verdacht das Resultat eines Abstechers nach New York oder ihrer Arbeit in der Klinik?
    Und wie passte das alles mit der Vermutung zusammen, dass Jeremy und sie … Ja, was denn? Er selbst hatte niemals das Wort Liebespaar verwendet, sondern sich nur in Andeutungen und Prahlereien ergangen, was er gern tat, wenn er einem Lügen auftischte.
    Hatte das drohende Unheil etwas mit dem Patienten zu tun, den niemand kannte? Mit dem Problem mit der ärztlichen Schweigepflicht, das Traynor zwischen den Zeilen angedeutet hatte? Mit dem Einbruch in Vangies Haus?
    Ich fühlte mich wie jemand, der mit Kurzsichtigkeit geschlagen war und versuchte, ferne Kometen am Nachthimmel zu erkennen. Fakten vermischten sich mit Aberglauben, Namen mit Orten, und durchaus schlüssig klingende Theorien erwiesen sich als unhaltbar. Die Fülle an Informationen führte dazu, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Wie bringt man Ordnung ins Chaos, wie geht man mit Widersprüchen um? Zwei Minuten lang zermarterte ich mir das Gehirn und rief

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