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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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Flusses hin, den er zu Fuß an der einzigen schmalen und seichten Stelle überqueren solle. Dann müsse er etwa 2,7 Meilen bis zum Rand einer Wiese zurücklegen, die mit Klee, Mohnblumen und sogar Wilden Orchideen bewachsen war. Er solle sich vor Wildschweinen in Acht nehmen - »Du kannst sie nicht hören, wenn sie durch die dichten Kastanienwälder stürmen« - und solle dort stehen bleiben und warten.
    »Ich dachte, ich sollte zum Haus kommen.«
    »Zuerst gehst du zur Wiese. Es ist eine notwendige Vorsichtsmaßnahme.«
    »James, was zum Teufel ist hier im Gange?«
    »Tut mir leid, Martin. Aber du musst mir blind vertrauen.«
    »Dir vertrauen? Ich habe eine halbe Ewigkeit nichts von dir gehört, und jetzt soll ich mein Schicksal in deine Hand legen?«
    »Du hast auch nicht gerade viel unternommen, um mich zu erreichen, oder? Was geschehen oder nicht geschehen ist, beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Aber lassen wir das«, sagte James nervös. »Diese Geschichte ist größer und wichtiger als wir beide. Viel größer.«
    »Und ich soll dort einfach nur herumstehen? Wie lange?«
    »Steh einfach genau um 15 Uhr 30 dort und strecke deinen linken Arm aus.«
    »Sagtest du den linken Arm?«
    »Ja, den linken Arm, gerade ausgestreckt, nicht nach oben, nicht nach unten, sondern exakt horizontal. Das ist ganz wichtig. Zieh dir einen Mantel an. Und einen Handschuh.«
    »Ich habe keinen Handschuh.«
    »Dein Fahrer hat sicher welche.«
    Martin begriff in diesem Moment, dass er genau das tun musste, was von ihm verlangt wurde, oder er konnte nach Hause zurückkehren. Er spürte, wie ein Gefühl hilfloser Resignation in ihm aufstieg.
    »Ich stehe also genau um 15:30 Uhr auf einer Wiese und strecke den Arm aus.«
    »Horizontal.«
    »Warum soll ich mit ausgestrecktem Arm auf einer Wiese stehen und dabei einen Handschuh tragen?«
    »Weißt du, wie ein Falke aussieht?«
    »Ich könnte einen Falken nicht von einem Adler oder einem Geier unterscheiden, wenn du das meinst.«
    »Er wird dich erkennen. Er wird eine handschriftliche Nachricht in der rechten Klaue haben. Nimm das Stück Papier. Streichle dem Vogel den Hals mit einer Geste der Dankbarkeit. So wurde es immer gemacht. Dann hebe deinen Arm, was für ihn das Zeichen ist, wieder loszufliegen. Die Wegbeschreibung befindet sich auf dem Papier. Und noch eine letzte Sache.«
    James wusste, dass die Unterhaltung schon viel zu lange dauerte. »Wenn du auch nur den geringsten Grund hast zu glauben, dass du verfolgt wirst, musst du sofort abbrechen. Und achte auf die Wildschweine. Sie sind überall.«
    »Wie ist er gestorben, James?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Nicht jetzt.«

 
    KAPITEL 12
     
    M artin starrte hinaus in die kalte, verregnete Landschaft Burgunds, während Max ihn zu einer Stelle fuhr, die die Satellitenkoordinaten aufwies, die sie hatten ausrechnen können.
    Ein paar Minuten nachdem Martins Wagen den Dorfplatz verlassen hatte, wählte James Olivier, der sich noch immer in der Nische des Glockenturms verbarg, eine Nummer auf seinem Mobiltelefon.
    »Lance, ich brauche Eyos in genau zwei Stunden. Gib noch zwanzig Minuten hinzu, ehe du ihn hochwirfst.«
    Während er sich anschickte, die elf Abschnitte der engen Wendeltreppe hinunterzusteigen, die im 16. Jahrhundert aus Feldsteinen erbaut worden war, vibrierte sein Mobiltelefon. James vermutete, dass Lance ihn zurückrief.
    »Was ist?«
    »Hallo?«, erklang eine zitternde Stimme.
    »Wer ist da?«, fragte James und hielt sich bereit, die Verbindung sofort zu unterbrechen.
    »James, bist du es? Hier ist Edouard Revere.«
    Max und Martin glitten in zügiger Fahrt durch eine Niederung des bergigen Morvan mit seinen alten römischen Weingärten, Kalksteinfelsen, keltischen Ruinen und Höhlen aus dem Pleistozän. Rechts und links ihres Weges erstreckten sich teilweise bearbeitete gelb leuchtende Rapsfelder und brüchige, mit Moos bewachsene Steinmauern. Der Wein aus diesem Teil Burgunds war unverkäuflich und wurde ausschließlich an das ein oder andere Dreisternerestaurant geliefert, zu dem zu gelangen einige Franzosen stundenlange Autofahrten in Kauf nahmen, nur um les ducs de Bourgogne zu kosten - Gastropoden, speziell die Géants, die gegrillt und mit gehackten Schalotten, Anislikör, Pinienkernen, Dijonsenf oder auf eine andere von fünfzig Arten serviert wurden, auf welche die burgundischen Schnecken, Helix pomata, zubereitet werden konnten.
    Frankreich mit seinen mehr als 500 000 Quadratkilometern Ausdehnung, einer

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