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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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war, niemals in die Grundlagen einer Verwandtschaft eingeweiht werden würde, die in die Zeit Saladins und der beinahe erfolgreichen Eroberung Wiens durch die Ottomanen zurückreichte. Raoul hatte ein gewichtiges Motiv, auch wenn es ziemlich pervers und verrückt erschien. Er glaubte, es sei sein Erbe, für das er kämpfte, und der fabelhaft reiche Abdul, der junge Porsche-Prinz, wie er von seinen Standesgenossen genannt wurde, hatte seine arabischen Verbindungen überprüft, und was er dabei erfuhr, hatte ihm gefallen.
    »Finden Sie dieses Tier, und Sie sollen Ihr Königreich bekommen«, hatte Abdul Raoul versprochen.
    Abduls eigener privater Zoo war nur ein Teil seiner Motivation. Ungeachtet der guten Noten, die seine Nation für ihre Anstrengungen zum Schutz seltener Wildtiere und vor allem für ihre Bemühungen, Huftiere und den Arabischen Leoparden wieder in ihrem angestammten Lebensraum heimisch zu machen, überall einheimste, hatten Abduls Reichtum und seine privilegierte Stellung ihn schon vor langer Zeit in eine Unterwelt riskanter Machenschaften gelockt. Er züchtete vom Aussterben bedrohte Tierarten und verkaufte sie seinen Vettern am Persischen Golf. Und er konsumierte von seltenen, bedrohten oder gar ausgestorbenen Tieren und Pflanzen gewonnene, noch im Teststadium befindliche Säfte und Pulver, so wie andere Leute Vitamintabletten schluckten.
    Raoul war bereits selbst zur südwestlichen Ecke des Anwesens gegangen. Er war es gewesen, der das Videoüberwachungssystem lahmgelegt hatte. Raoul kannte Einzelheiten über die Geschichte der Besitzung und darüber, worin ihr wahrer Wert bestand, von denen keiner seiner Kollegen je etwas erfahren würde, wenn es nach ihm ginge - es waren Informationen, die von seinem Vater und seinem Großvater weitergegeben worden waren, die unter der gleichen Last des Entzugs der erhabenen Herrlichkeit gelitten hatten. Sie hatten nicht das Geringste dagegen tun können. In den damaligen Zeiten war es einfach unmöglich gewesen, den Mächten zu widerstehen, die zur Verteidigung des Landgutes aufmarschiert waren.
    Aber der Zweite Weltkrieg hatte gewisse Charakteristika des sozialen Gefüges in Burgund verändert und Raoul neue Munition und Strategien beschert. Er verfolgte außerdem den gründlichen Verfall des alten Pfarrhauses. Er hatte nicht mehr als drei Personen gezählt, die das alte Château bewohnten. Und nun sollte einer von ihnen gestorben sein. Ein anderer war schon ziemlich alt. Die dritte Person war unbekannt, aber es war nur eine. Ein Mann und ein unermesslicher Schatz, der versteckt irgendwo in dem Haus ruhte. Raoul hatte still und mit obsessiver Beharrlichkeit die Chancen ausgerechnet, diesen Schatz zu finden, und die Suche danach mit akribischer Präzision vorangetrieben. Ein Schatz, von dem nicht einmal Abdul etwas wusste.
    Die Abfolge der Ereignisse, so wie Raoul sie lange geplant hatte, war nur wenig behindert worden. Nachdem er einige Zeit hatte verstreichen lassen - eine Vorsichtsnahme, auf der Abdul bestanden hatte und die zu beachten Raoul klug genug gewesen war -, liefen die Dinge viel, viel besser, zumindest bis zum letzten Schritt.
    Sie hatten die Lücke in der Mauer, die von jemandem recht dilettantisch geflickt worden war, schnell und ohne Probleme gefunden. Er drang einige hundert Meter weit auf das regnerische Gelände vor und spürte ihre Beute mithilfe der Infrarotoptik eines Wärmebilder liefernden Fernglases und eines Köders auf, dessen Beschreibung er in mittelalterlichen Bestiarien gefunden hatte. Diesen hatte er durch das Hinzufügen moderner Duftstoffe und Lebensmittelaromen verstärkt und ein Narkotikum erhalten, das einen durchdringenden Geruch mit hohem Fructoseanteil verströmte, der sogar noch in einer Verdünnung von eins zu einer Milliarde Moleküle von jedem Säugetier wahrgenommen werden konnte. Große Wildkatzen konnten zum Beispiel das Parfüm Obsession aus einer Entfernung von einer Viertelmeile wittern. Ein bestimmtes Kosmetikum, das an vielen Straßen in Gabun und der Demokratischen Republik Kongo verkauft wurde, lockte Elefanten und ganze Pavianherden aus noch viel größerer Entfernung an.
    Obgleich nahezu überwältigt von unerwarteten funkelnden Augen, reglos lauernden Gestalten, kompletten Wildtierrudeln und -herden sowie einzelnen Tierriesen, schafften sie es trotzdem, die eine gesuchte Kreatur keine dreißig Meter vor der Mauerlücke zu fangen, zu fesseln und hinauszuschaffen.
    Das Tier konnte sich nicht rühren. Es war

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