Bestiarium
erkundigte Raoul sich.
»Nein«, antwortete de Bar.
Seine Augen und sein Kopf brannten, aber das ignorierte er lieber.
Berndt, der als Agent der Dutch Special Forces am Persischen Golf eingesetzt gewesen war, wo er de Bar und Raoul kennengelernt hatte, erkannte, dass ihrem Söldnertrupp nur noch wenig Zeit blieb, um ein weiteres männliches und ein weibliches Tier aufzustöbern und so viele seltene Tiere wie möglich zu fangen. Jedes stellte einen ansehnlichen Batzen Dollars dar. Er wusste, dass es auf dem Gelände von Wildtieren wimmelte - und zwar den exotischsten Arten. Und Abdul und seine Freunde waren bereit, jeden verlangten Preis dafür zu bezahlen.
Diesmal jedoch wären im Hafen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen nötig. Unterstützt durch entsprechende amphetaminhaltige Drogen war Berndts Wachsamkeit aufs Höchste geschärft. Er konnte ein Dutzend verschiedener Bereiche nennen, in denen seine Truppe schlampig gearbeitet hatte. Entweder das, oder jemand Eingeweihtes hatte mit einigen Dockarbeitern ein besseres Geschäft abgeschlossen. Raoul behauptete, dass der Schuldige jemand war, der tagsüber als Gärtner arbeitete. Berndt wollte das nicht so recht glauben.
Raoul, der sich des Gelingens des ganzen Plans so sicher gewesen war, hatte mit der Ermordung des Gärtners ihrem gesamten Unternehmen zu einer tickenden Zeitbombe verholfen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei alle Puzzlestücke richtig zusammengefügt hatte und ihn mit dem Mord in Verbindung brachte.
Wegen des Wetters konnten sie noch nicht einmal feststellen, wie groß dieser private Zoo war oder was sich in ihm befand. Sie wussten nur, dass die alte römische Mauer sich durch vier aufeinander folgende Täler zog, fünfzehn bis zwanzig Meilen in eine Richtung und drei oder vier im rechten Winkel dazu. Das Innere, so schätzte Raoul, musste aus rund fünfzig Quadratmeilen dichten Waldes bestehen, eins der größten noch erhaltenen freien Grundbesitztümer in der Morvan-Region mit einem Château, das versteckt am südwestlichen Ende stand. Raoul war sich sicher, dass es nicht mehr als drei, möglicherweise nur zwei Bewohner und, wie sich aus sechs Monaten ständiger Beobachtung ergab, keinerlei Besucher gab. Wer immer dort wohnte, hatte darauf verzichtet, die Polizei einzuschalten. Dafür gab es einen offensichtlichen Grund, wie Raoul sehr gut verstand.
»Den Gärtner umzubringen war ein Fehler«, wiederholte Berndt noch einmal mit Nachdruck.
Raoul musterte ihn mit glühendem Blick, dann zuckte er die Achseln und wandte sich ab. Er erinnerte sich mit einem Gefühl der Genugtuung daran, wie er sich leise dem Mann genähert hatte, der ihm den Rücken zuwandte. Raoul packte ihn mit der brutalen Kraft seiner zweihundertzwanzig Pfund und - gewiss, dass Hythlodae genau sehen konnte, wer es war, der Gerechtigkeit übte, seine eigene Gerechtigkeit - stieß das Horn, das seit Jahrhunderten im Besitz seiner Familie war, in ihn hinein, drückte stärker und stärker dagegen, bis es sich vollständig durch seinen Hals gebohrt hatte. Erstaunlicherweise hatte diese Aktion sich nicht als ausreichend erwiesen, um seinen Tod herbeizuführen. Eine zusätzliche Kugel war nötig gewesen.
Keiner von ihnen hat den Mumm für eine solche Tat, hatte Raoul gedacht, während er das Museum verließ, dank seiner langjährigen Erfahrung sämtliche Sicherheitseinrichtungen umging und davonfuhr.
Es gab noch einige andere, mit denen er sich befassen musste. Die Familien der Hythlodaes und Oliviers waren als Diaspora der Selbstlosen über Europa verstreut, wo sie ehrenwerte Berufe ausübten und hervorgehobene Positionen einnahmen und ansonsten nichts über ihren alten Orden verlauten ließen. Sie fuhren Autos, gingen mit Aktenkoffern zur Arbeit, betätigten sich als Bankiers und arbeiteten in Krankenhäusern. Ihre Dienste gegenüber dem Orden waren symbolischer Natur. Sie waren unbewaffnet, untrainiert und kannten das Terrain nicht - bis auf diesen einen Bogenschützen, höchstwahrscheinlich jemand, der eigens dafür engagiert worden war. Die ältesten Mitglieder des Ordens, die sich an die Geheimnisse erinnerten, die ihnen von ihren Urgroßeltern überliefert worden waren, welche die Geheimnisse von ihren Urgroßeltern kannten, wussten nur etwas von einer ländlichen Alten Welt, einer Zeit der Nostalgie, einem Goldenen Zeitalter. So viel konnte Raoul aus dem heruntergekommenen Zustand des Châteaus und dem nicht stattfindenden Verkehr durch das Haupttor
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