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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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beleuchtet wurde, wo vier Streifenwagen und ein halbes Dutzend Polizisten warteten und zwei Taucher anfeuerten, die völlig übertrieben angezogen und ausgerüstet waren. Eigentlich war alles so wie immer in einem solchen Fall.
    Das Fahrzeug rutschte durch das grelle Licht, gezogen von der Winde eines Geländefahrzeugs, und erreichte schließlich das Ufer. Ein paar Schaulustige und ein Fischer, die um diese Nachtzeit nichts Besseres zu tun hatten, verfolgten die Ereignisse. Ein Kanalboot glitt vorbei, besetzt mit einem halben Dutzend schlafloser Russen, Touristen, die gemütlich in ihren Deckstühlen saßen und tranken und dazu Käse und Kräcker und Kaviar aßen. Sie bestürmten den Kapitän ihres überladenen Boots mit wüsten Beschimpfungen, unterstützt von der Polizei, die dem Kapitän über den Lärm des laut knatternden Schiffsmotors zurief, er solle einen weiten Bogen um das Autowrack machen. Ein Einheimischer auf einem Fahrrad, unter dem Arm ein in Zeitungspapier eingewickeltes Baguette, ließ sich zu einem flüchtigen Blick hinreißen und verschwand dann in der Nacht. Burgund hatte offensichtlich seine ganz eigenen Schlafenszeiten.
    Die Wasserstraße war eins der großen Projekte in den Jahren nach 1820 gewesen und Teil der Bemühungen, der örtlichen Wirtschaft zu einem Aufschwung zu verhelfen, indem man die Rhone mit dem Rhein verband. Jean-Baptiste Simon erinnerte sich an seine eigene Liebesaffäre mit den Flüssen, in deren ganz eigener verschlungener Welt er aufgewachsen war und wo er und seine jungen Schulkameraden so gern nackt baden gingen. Er hatte die Geschichten von den Widerstandskämpfern gehört, die sich in den dunklen Wäldern auf beiden Seiten versteckten, wo das Unterholz so dicht und die Felsabbrüche so steil waren, dass noch nicht einmal Ziegen dort überleben konnten. Er roch die würzige Nachtluft, und sie weckte bei ihm sofort die Erinnerung an seine wunderschöne Jugend.
    »Sie haben anscheinend ihren Spaß«, meinte er murmelnd zu Hubert Mans und meinte die Russen, die mittlerweile im dichter werdenden Nebel verschwunden waren.
    Während die Polizisten sich mit ihren Taschenlampen dem Wagen näherten, nahmen sie alle diesen verräterischen Geruch wahr.
    »Öffnen Sie ihn«, sagte Simon, während er sich den Ärmel seines Jacketts auf Mund und Nase presste. Ganze Horden von wurmähnlichen Lebewesen kamen aus dem Kofferraum gekrabbelt.
    »Scheiße!«, fluchte der Beamte, der den Kofferraum öffnete, während er beim Anblick, der sich ihm bot, zurückwich.
    Simon lenkte den Lichtstrahl seiner Taschenlampe über das Heck des verbeulten Autowracks und richtete ihn auf die zum größten Teil verzehrte Leiche, auf der es von flüchtenden Maden wimmelte. Der Brustkorb wies jedoch noch einige Fleischreste auf, die von den teilweise blanken Rippen herabhingen.
    »Was ist das?«, stammelte Mans.
    »Ein Mensch, wie ich mit einiger Sicherheit glaube annehmen zu können«, sagte Simon. »Ich brauche Handschuhe!«
    Er erhielt weiße Plastikhandschuhe und streifte sie sich über beide Hände, dann zog er ein zusammengerolltes Stück Leder, etwa acht Zentimeter lang, zwischen den Kiefern der Leiche hervor. Simon glättete die einem Papyrus ähnliche Schriftrolle, auf der noch die Reste mit Tinte geschriebener lateinischer Worte zu lesen waren. Ein französischer Polizist trat vor, um einige Fotos zu machen.
    »Können Sie das lesen?«
    Simon versuchte, das Unaussprechliche auszusprechen: »Itentur n rnum? Itentur n ernum? Hubert, holen Sie Mademoiselle Deblock ans Telefon. Sagen Sie ihr, ich müsse sofort ihren Onkel sprechen.«

 
    KAPITEL 26
     
    J ames und Martin hatten den obersten Abschnitt des Turms erreicht. James lehnte sich an ein Portal, das einen ungehinderten Blick auf das Unwetter, das am Himmel tobte, bot. Dunkle Wolken überschütteten in einem Moment die Landschaft mit Regen oder Hagel, um im nächsten Augenblick eisige Windböen zu entfesseln. Sie befanden sich dicht unter den uralten Balken des Schieferdaches, dessen Tausende winzige, säuberlich eingepasste Platten Anfang der 1960er Jahre umfangreich ausgebessert und erneuert worden waren und jetzt dem wütenden Ansturm des Regens weitgehend standhielten. Es gab einige undichte Stellen, durch die Wassertropfen drangen und auf den Männern und zahllosen Vogelnestern zerplatzten.
    »Martin, vor langer Zeit gab es berühmte Generäle, die dieses Anwesen verteidigten. Männer mit Namen wie Antoine de Croy, Pierre de Beauffremont.

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