Bestiarium
offensichtlicher Mangel an Geld und Aufmerksamkeit.
»Vierunddreißigtausend Hektar, James. Das ist gigantisch. Hat mein Vater sich neben seinen Vogelbeobachtungen jemals Zeit genommen, um ein Testament aufzusetzen?«
»Ja«, sagte James. »Das Landgut wird zu gleichen Hälften zwischen mir und dir aufgeteilt. Aber ich bin ein alter Mann, Martin. Im Grunde gehört alles dir, und so und nicht anders verhält es sich.«
»Mein Gott«, stöhnte Martin auf. »Vierunddreißigtausend Hektar. Ich kann es einfach nicht glauben. Drei Stunden von Paris entfernt. Und mit einem Château als Dreingabe. Seit Anbeginn der Zeit im Besitz der Familie. Richtig. Was sind deine Absichten? Ich muss dich das fragen. Ich bin schließlich trotz allem Rechtsanwalt. Die Finanzbehörden werden horrende Beträge fordern. Und nicht nur an Kapitalertragssteuer. Das ist ein regelrechter Tsunami.«
»Wir sind als religiöse Gemeinschaft von allen Steuern befreit.«
»Niemals.«
»Aber da ist sogar noch etwas viel Besseres als das.«
»Da wird gar nichts besser.«
»Oh doch. Sieh mal, niemand darf diesen Wald betreten. Die Nationalparkverwaltung hat niemals bei uns geklingelt, obwohl wir mitten in ihrem Gebiet liegen. Sie haben es nicht gewagt.«
»Aber warum nicht?«
»Wegen eines Erlasses, der vor vielen Jahrhunderten unterzeichnet und von einem König, Kaiser, Papst und Präsidenten nach dem anderen anerkannt wurde. Bis zum 20. Jahrhundert haben die Behörden in Frankreich, und zwar sowohl die örtlichen als auch die nationalen, die für Energie, Nationalparks, Steuern und Politik zuständig sind, beharrlich geschwiegen, soweit es dieses Anwesen betraf, das in dieser Form seit der Zeit besteht, als die Anhänger des heiligen Benedikt die Mauern errichtet haben.«
»Wie praktisch«, sagte Martin ungläubig.
»Du hast ja keine Ahnung, was hier auf dem Spiel steht. Und wer sich in der Vergangenheit darum gekümmert hat.«
»Von wem redest du? Von unseren Vorfahren?«
»Ja.«
»James, mein Vater und ich hatten nur selten Gelegenheit, uns zu unterhalten, nachdem ich zur Universität gegangen war. Das weißt du sicherlich. Und ich bin auch niemals in den Genuss eines jener Treppenhäuser voller düsterer Hunderte von Jahren alter Porträts an den Wänden gelangt, deren Augen einen beim Vorbeigehen von den Leinwänden verfolgen. Ich habe meine beiden Großeltern nur kurz und flüchtig kennengelernt. Dein Vater stammte aus Devon, nicht wahr?«
»In Wirklichkeit aus einer Stadt hier in Burgund. Er zog erst später nach Devon.«
»Offensichtlich nicht wegen britischer Steuervorteile.«
»Das stimmt.«
»Mal sehen, ich kann mich auch an deine Mutter, meine Großmutter, erinnern. Ich habe sie ein paarmal während der Ferien in Wales gesehen. Ich weiß, dass sie von den Franzosen, den Engländern und den Flamen abstammte.«
»Wie geht es Margaret?«, fragte James. »Weil wir gerade von Flamen sprechen.«
»Wie immer. Sie ist sehr gefragt und ständig in der Kunstwelt unterwegs. Uns geht es gut. Unserer Ehe, meine ich. Wir sind richtig sesshaft geworden. Und haben eine Routine im Umgang miteinander entwickelt, die anscheinend funktioniert.«
»Dein Vater hat so etwas angedeutet. Dem Klang nach eine richtige Erfolgsgeschichte. Ich hörte, sie hat einen Rembrandt entdeckt, oder war es eine Zeichnung von Michelangelo?«
»Beides, und sie ist natürlich die Säule unserer Firma.«
»Richte ihr meine herzlichen Grüße aus.«
»Das werde ich. Danke. Ich muss sie kurz anrufen.«
Martin holte sein iPhone heraus. Keine Netzverbindung.
»Mist. Ein nagelneues Telefon. Man soll mit diesem Ding die Osterinseln oder den Südpol erreichen können.«
»Der Taubenturm, der im 12. Jahrhundert erbaut wurde. Du hast ihn sicher gesehen, als du hergekommen bist. Dort kommst du ins Netz. Schlecht beleuchtet. Aber der einzige Punkt mit Funkverbindung. Aber an eins musst du denken, Martin, mach es so kurz und nichtssagend wie möglich. Unterbrich sofort die Verbindung, wenn du irgendetwas Seltsames hörst.«
»Ist das dein Ernst? Dieselben Leute, die Edward getötet haben?«
»Wahrscheinlich ja.«»Sollten wir dann nicht lieber flüstern?«
»Vielleicht. Aber ich kann so nicht leben. Und du musst dich bei Margaret melden.«
James holte eine Taschenlampe, und sie gingen durch ein Labyrinth von Korridoren und in einen kleinen Verbindungsgang, der so niedrig war, dass sie sich bücken und an den Granitwänden abstützen mussten. Dann folgte ein rustikaler
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