Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Gesprächspartner, der sich meine Ideen und Intentionen, meine Versuche, in diesem Bereich sowohl zu forschen als auch praktisch zu arbeiten, sehr lange anhörte. Er sprach nicht nur über sein Leben, über seine Verbitterung, sondern vor allem auch über seine Daten, die er gesammelt hatte, über seine Auswertungen und über seine Erfahrungen in diesem Bereich. Schlussendlich übergab mir dieser Mann seine Originalunterlagen in Form von dünnem Seidenpapier, auf denen in detaillierter Form, fachlich pointierter Genauigkeit umfangreichstes Wissen aufgeschrieben war. Er übergab sie mir mit dem ehrlichen Wunsch, dass ich etwas damit anfangen könne, was mich einfach nur noch mehr dazu animierte, in diesem Bereich weiterzuforschen.
22.
Abends, zurück in Wien, versuchte ich an jede erdenkliche Publikation heranzukommen, systematisch Tatortbilder, rechtsmedizinische Gutachten, toxikologische Befunde, geografische Beschreibungen zu sammeln, zu katalogisieren und auszuwerten, aber immer mit einer einzigen Zielstellung: aus all diesen Informationen Verhalten zu eruieren. Ich begann für mich Regeln aufzustellen und erhielt die ersten Einladungen, Vorträge zu halten. Man ersuchte mich von verschiedenen Dienststellen, einen Blick auf deren Fälle zu werfen, was ich auch gerne tat. Ich übernahm dabei jenen Satz, der eigentlich von Robert Ressler stammt und den im Film „Das Schweigen der Lämmer“ der Psychiater Dr. Hannibal Lecter zu Clarice Starling sagt: „Quid pro quo – ich gebe dir etwas, wenn du mir etwas gibst.“ So ersuchte ich jede Dienststelle, mir im Gegenzug zu meiner Beurteilung alle Informationen von zwei geklärten Delikten zukommen zu lassen und mir bei dem Führen der Gespräche in den Gefangenenhäusern logistisch behilflich zu sein.
Es war ein außergewöhnlicher Deal, denn für jedes Delikt, das ich bearbeitete, bekam ich zwei neue dazu. Jeder erfolgsorientierte Beamte im Bundesinnenministerium wurde halb wahnsinnig bei der Idee, dass meine Akten niemals kleiner wurden, sondern die Stöße sich mehr oder minder jedes Mal verdoppelten, wenn ich eine Tätigkeit beendet hatte, aber ich brauchte mehr Erfahrung, mehr Information, mehr Vergleichsfälle. So begann ich systematisch in Österreich all jene Personen zu interviewen, von denen ich wusste, dass sie sexuelle Tötungsdelikte begangen hatten. Ich sprach unter anderem mit Hans*, dem vorgeworfen wurde, in einem mehr als 20-jährigen Zeitraum sieben Menschen umgebracht zu haben. Im September 1993 passierte das, was meinem gesamten Bestreben, in diesem Bereich mehr und mehr Informationen zusammenzutragen, auszuwerten und zu analysieren, eine ganz neue Dimension geben sollte. Durch Zufall wurde ich eingeladen, an einer Ausbildungsveranstaltung in der Bearbeitung von Geiselnahmen teilzunehmen. Ich hatte in der Zwischenzeit den Ruf als „Polizeipsychologe“ erhalten. Die genaue Einordnung war noch nicht allen Mitarbeitern ganz klar und manche waren der Meinung, sie könnten sich in meinem Büro auf eine Couch legen und ihr Herz ausschütten. Andere wiederum meinten, ich wäre dafür zuständig, Leute auszuwählen, ob sie als Scharfschütze oder Hubschrauberpilot geeignet wären. Aber all meine Versuche, den Kollegen zu erklären, dass die Kriminalpsychologie ausschließlich das Verhalten unbekannter Personen beurteilt, um daraus konkrete Ermittlungsansätze zu kreieren, also eine zusätzliche Hilfestellung anzubieten – als Servicedienststelle zu agieren –, wurden sehr kritisch betrachtet. Das war nicht leicht verständlich zu machen.
Im September 1993 wurde ich also eingeladen, an einer Veranstaltung der österreichischen Staatspolizei teilzunehmen, die von einer ausländischen Partnerorganisation durchgeführt wurde. Im Laufe dieser Veranstaltung trat ein Mann auf, von dem ich der Meinung war, dass ich ihn schon irgendwo einmal gesehen hatte, Amerikaner, ohne strengen Akzent. Er hatte eine Brille, Oberlippenbart und mir war nicht ganz klar, wie ich ihn einordnen sollte. Die Veranstaltung wurde simultan übersetzt. Der Übersetzer hatte einige Schwierigkeiten, gewisse englische Begriffe ins Deutsche zu übertragen, die ich andererseits wieder aus meiner Ausbildungszeit in der Verhaltensforschungsabteilung des FBI kannte. So begann ich mich mehr auf den Vortragenden als auf den Inhalt zu konzentrieren. Ich wühlte nun in meinem fotografischen Gedächtnis und sah plötzlich den Vortragenden vor meinem geistigen Auge auf einem Bild wieder,
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