Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
welches zwei Stockwerke unter der Erde in der Verhaltensforschungseinheit des FBI an der Wand hing – J. Edgar Hoover, der Begründer des FBI, mit Robert K. Ressler.
Plötzlich stand er vor mir, diese Legende, die mit Charly Manson genauso gesprochen hatte wie mit Ed Kemper. Charly Manson hatte unter anderem 1969 im kalifornischen Death Valley mit seinem Kumpanen Tex Watson und anderen Mitgliedern Sharon Tate, die Frau von Roman Polanski, umgebracht und war monatelang raubend, mordend und brandschatzend, sinnlose Verbrechen begehend, durch die Gegend gezogen. Kemper hatte neun Collegestudentinnen umgebracht, sie alle enthauptet und teilweise die Köpfe im Garten seiner Mutter in der Erde vergraben, und zwar so, dass sie mit Blickrichtung zum Schlafzimmerfenster in der Erde steckten. Die Mutter von Edmund Kemper war mit ihm im ständigen Streit und warf ihm öfters vor, dass er zu nichts tauge und nur ihren Kühlschrank leer esse. Sie forderte ihn auch mehrmals auf – so erzählte ihm Kemper –, dass er wenigstens zu ihr aufblicken solle. Kemper hat dabei in Anspielung auf sein symbolisches Verhalten mit den Köpfen seiner Opfer jedes Mal geantwortet: „Ma, du weißt gar nicht, wie viele Menschen jeden Tag und jede Nacht zu dir aufblicken.“
Robert Ressler war im Zuge seiner beruflichen Karriere in die Erfahrungswelten von Ted Bundy genauso vorgedrungen wie in jene von Jeffrey Dahmer. Er hatte John Wayne Gacy interviewt, der in Chicago über 30 junge Burschen ermordet und im Keller seines Hauses vergraben hatte. Bob Ressler besaß zu diesem Zeitpunkt mehr Wissen über das Verhalten und die Motivation von Leuten, die außergewöhnliche Verbrechen begangen hatten, als jeder andere.
Ich musste handeln, bot dem Kollegen an, die Übersetzung für ihn zu übernehmen, und kam dadurch ins Gespräch mit Robert Ressler. Ich tat das, was ich in solchen Situationen immer tat – ich schwieg und hörte zu. Ressler besuchte meine Dienststelle, er sah, was ich bisher getan hatte. Er ließ sich meine Berichte und Arbeiten vorlegen, er befragte mich nach meiner Motivation, nach meiner bisherigen Tätigkeit, nach meinem Interesse, nach meinen Hobbys. Schließlich bot er mir an, mir sein gesamtes Wissen zur Verfügung zu stellen und meine Ausbildung zu ergänzen, unter einer einzigen Voraussetzung: flexibel zu sein – was immer er damit meinte. Das Angebot war nicht auszuschlagen.
23.
„Flexibel zu sein.“ Er rief mich an einem Freitag an und teilte mir mit, dass ich mich am Montag in der Früh in Kuala Lumpur einzufinden hätte. Er schickte mir am Mittwoch ein Fax, um mich am Sonntag in Kapstadt zu treffen, um dort einen Fall zu bearbeiten. Ich fuhr, flog, marschierte mit ihm mit, hörte zu, machte mir Notizen, verglich und analysierte. Tatortbearbeitungen in der Tschechischen Republik genauso wie Fallzusammenführungen in Paarl in Südafrika, Vortragsveranstaltungen beim New Scotland Yard in London wie organisatorische Gespräche mit dem ersten Direktor der National Crime Faculty in Großbritannien, Phill Pyke. Er brachte mich in den Vereinigten Staaten mit Leuten zusammen, die außerhalb des FBI mit Verhaltensbeurteilung zu tun hatten, und schließlich eröffnete er mir die grundsätzliche Möglichkeit, Mitglied in der Amerikanischen Akademie für forensische Wissenschaften zu werden. Dort saß ich zunächst mehrere Jahre auf der Wartebank, man beobachtete mich, meine Einstellung und mein Verhalten. Man ließ sich schildern, welche Fälle ich bearbeitet hatte, wie ich meine methodischen Ansätze verstand, als ich zunächst vom Status des Bewerbers zum provisorischen Mitglied ernannt wurde. Ich traf Richard Walter, der als Gefangenenhauspsychologe in einem maximalen Hochsicherheitstrakt in Lancing/Michigan Hunderte Interviews mit Mördern und Serienvergewaltigern geführt hatte. Zunächst wurde mir gestattet, an Workshops teilzunehmen. Nach einiger Zeit wurde ich eingeladen, dabei selbst zu referieren. Ich hatte die Gelegenheit, jedes Jahr mit den besten Verbrechensanalytikern weltweit in Diskussionen einzutreten, Erfahrungen auszutauschen und Gespräche zu führen.
Mir wurde immer klarer, dass die Kultur ein Filter im Verhalten ist. Die Fragestellung, ob die Dynamik einer Serienvergewaltigung in North Carolina die gleiche ist wie in Bochum oder ob in New York gleich umgebracht wird wie in Wien, behielt ich immer im Auge. Schlussendlich versuchte ich durch vergleichende Analysen amerikanischer, südafrikanischer,
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