Bestien
Bedeutung nur noch ein Geräusch übrig blieb.
An diesem Morgen konnte sie zum ersten Mal an das
Begräbnis denken, ohne zu weinen. Sie wußte nicht, ob es wie
andere Begräbnisse gewesen war, weil sie vorher nie an einem
teilgenommen hatte. Es waren nicht sehr viele Leute
dagewesen, und es hatte nicht sehr lange gedauert, und als sie
in der vordersten Bank der kleinen Kirche gesessen und gehört
hatte, wie ein Mann, den sie nie gesehen hatte, über ihre
Familie sprach – und sie wußte, daß er auch ihre Familie nie
getroffen hatte, wie konnte er also über sie reden? –, versuchte
sie sich klarzumachen, daß in den drei vor dem Altar
aufgereihten Särgen wirklich ihr Vater und ihre Mutter und ihr
Bruder lagen.
Aber die Sargdeckel waren geschlossen, und niemand hatte
sie die Körper darin sehen lassen, und es fiel ihr schwer
anzunehmen, daß dies alles Wirklichkeit war. Einmal, als sie
die Tür hatte gehen hören, war sie beinahe überzeugt gewesen,
daß es Mark sei, der durch den Mittelgang zu ihr käme, und
hatte den Kopf umgewandt. Aber es war nicht Mark gewesen,
sondern ein weiterer Fremder, und sie hatte wieder zum Altar
geschaut. Dann waren sie hinter den Särgen auf den kleinen
Friedhof hinter der Kirche hinausgezogen, und als sie Marks
Sarg ins Grab gesenkt hatten, hatte sie das sonderbarste Gefühl
gehabt.
Er ist nicht darin!
Der Gedanke war ihr wie aus dem Nichts in den Sinn
gekommen. Sie hatte sich gesagt, daß es dumm sei, daß sie den
Sarg nicht begraben würden, wenn Mark nicht darin wäre.
Aber der Gedanke war ihr nicht mehr aus dem Kopf
gegangen. Seit der Beerdigung war sie mehrmals – sie wußte
nicht genau, wie oft – mitten in der Nacht wachgeworden, die
Erinnerung an einen Traum frisch im Gedächtnis.
Es war, als wäre auch sie im Grab, und Mark war bei ihr,
und sie schlugen beide gegen den Sargdeckel, aber niemand
konnte sie hören. Sie wußten, daß sie begraben waren und daß
sie sich nicht würden befreien können, aber sie waren nicht tot.
Sie erinnerte sich, daß sie nach diesen Träumen beim
Aufwachen geweint hatte.
Aber jedesmal, wenn sie aus diesem Angsttraum erwacht
war und verstanden hatte, daß sie überhaupt nicht im Sarg war,
hatte sie gewußt, daß auch Mark nicht darin war.
Neue Tränen drohten sie zu überwältigen, und sie verdrängte den Gedanken, entschlossen, nicht wieder mit Weinen
anzufangen. Sie stand auf und zog sich an, nahm saubere Jeans
aus der unteren Schublade der Kommode, die sie von dem
Haus am Telluride Drive hergebracht hatten. Dann zog sie
eines von Marks alten Flanellhemden an und einen Pullover
darüber.
Sie mochte das Gefühl von Marks Hemd auf der Haut,
obwohl es ihr viel zu groß war; und obwohl es letzte Woche
gewaschen worden war, bildete sie sich ein, es rieche noch
nach ihm. Wenn sie es anhatte, fühlte sie sich ihm nahe.
Als sie an diesem Morgen ihr Zimmer verließ, wußte sie,
was sie tun wollte.
Heute wollte sie ihre Eltern besuchen.
Die Familie Harris saß bereits am Frühstückstisch, als Kelly
hinzukam und still ihren Platz neben Linda einnahm. Mrs.
Harris, die Tante Elaine zu nennen sie noch immer nicht
fertiggebracht hatte – obwohl Mrs. Harris ihr gesagt hatte, sie
solle es tun –, schaute sie an. Kelly brachte ein höfliches
kleines Lächeln zuwege.
»Hast du gut geschlafen, Kelly?«
Sie nickte, schlug den Blick nieder auf den Pfannkuchen vor
ihr. Sie war nicht hungrig, erinnerte sich jedoch, daß ihre
Mutter ihr eingeschärft hatte, daß es nicht höflich sei, auf dem
Teller liegenzulassen, was einem vorgesetzt wurde.
Sie machte sich daran, Stücke von dem fetten Pfannkuchen
zu schneiden und in den Mund zu stopfen.
Zwanzig Minuten später, als ihr Teller leer war, blickte
Kelly schüchtern auf. »Darf ich aufstehen?«
»Natürlich«, sagte Elaine Harris.
Sie rutschte vom Stuhl, eilte hinaus und zurück in ihr
Zimmer, wo sie in der Kommodenschublade grub, bis sie die
kleine Sparbüchse fand, in der sie schon immer ihr Taschengeld aufbewahrte.
Sie sperrte den kleinen Messingbehälter auf und nahm fünf
Dollar heraus. Sie wußte nicht genau, wieviel Blumen kosteten,
aber ihr erschien, daß fünf Dollar reichen sollten. Sie versteckte die Sparbüchse wieder, zog die Jacke an und ging zur
Haustür. Als sie die Tür aufmachte, hörte sie eine Stimme
hinter sich.
»Wohin gehst du, Kelly?«
Es war Linda, und Kelly sah schüchtern zu ihr auf. »Zu …
zum Friedhof«, sagte sie und fühlte sich erröten. »Ich wollte
nur meine
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