Bestimmt fuer dich
Leben, den man eben nicht kennenlernt. Das Flug zeug, in das man einsteigt, obwohl es abstürzen wird.«
»Das ist dann auch Schicksal.«
Lukas lächelte grimmig. »Wirklich? So leicht nehmen Sie das hin?«
»Das würde ich gern.« Sie zwinkerte ihm zu. »Wäre es nicht viel befreiender, zu wissen, dass alles, was geschieht, so oder so geschehen wäre?«
»Nein, das wäre entsetzlich.«
Die plötzliche Wut in Lukas’ Stimme jagte Rosanna einen Schauder über den Rücken. Gleichzeitig verspürte sie Mitleid mit ihm und hatte das Gefühl, etwas klären zu müssen. »Verstehen Sie mich nicht falsch – ich glaube durchaus daran, dass man sein Schicksal beeinflussen kann. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt.«
Sie wandte sich ihrer Stereoanlage zu und schaltete das Radio ein. Die brüchige Stimme einer älteren Frau ertönte. Begleitet von einem kleinen Streichorchester und einer leisen Rhythmusgruppe, sang sie davon, dass sie ein bisschen zu viel redete und ein bisschen zu laut lachte, aber was konnte man schon anderes tun, am Ende einer Liebesbeziehung?
Rosanna schloss mit einem wissenden Lächeln die Augen. Lukas erstarrte. Warum wurde im Radio ausgerechnet jetzt ein Lied gespielt, das ihm noch aus seiner Kindheit bekannt war?
»Billie Holliday«, sagte Rosanna und öffnete die Augen. »Sehr traurig. Sie war ganz oben. Und dann kamen die Drogen. Sie verlor alles. Durfte nicht mal mehr auftreten und singen. Und als sie völlig verarmt und vereinsamt war, musste sie elendig in einem Krankenhauszimmer sterben.«
»Während Polizisten neben ihrem Bett standen, um sie festzunehmen, falls sie sich wieder erholt hätte«, ergänzte Lukas.
Rosanna sah ihn überrascht an.
»Meine Eltern waren große Fans«, erklärte er. »Ich habe Hollidays Lebensgeschichte oft genug erzählt bekommen. Und ich konnte nie verstehen, warum ein Mensch sich alles selber kaputt macht.« Er biss sich auf die Lippen. »Woher wussten Sie , was mit Billie Holliday passiert ist?«
»Wikipedia«, beichtete Rosanna und brachte Lukas damit zum Lachen.
Während »The End of a Love Affair« weiterspielte, schloss Rosanna wieder die Augen. Sachte begann sie sich im Takt zu wiegen. Lukas wurde auf einmal bewusst, wie nahe er vor ihr stand, und wollte zurücktreten. Stattdessen streckte er eine Hand aus, um Rosannas Haar zu berühren und die heruntergefallene Strähne von ihrem rechten Auge wegzustreichen, neben dem immer noch das Komma aus verschmierter Wimperntusche zu sehen war. Aber da Rosanna, verloren in der Musik, zurückschwankte, griff Lukas’ Hand ins Leere und fiel tiefer, mitten auf Rosannas Brust.
Irritiert öffnete Rosanna die Augen.
»Ähm …«, sagte Lukas verlegen und merkte erst jetzt, dass seine Hand immer noch auf ihrer Brust ruhte. Ruckartig zog er sie weg. »Die Pizza … müsste fertig sein, oder?«
Wütend streckte Rosanna ihre Hand aus, packte zwischen seine Beine und drückte zu. »Glaube schon«, fauchte sie. Dann stampfte sie an ihm vorbei in die Küche.
Ein paar Minuten später saßen sie auf dem kleinen Sofa im Wohnzimmer und aßen von der Pizza, die am Rand verbrannt war und in der Mitte noch enttäuschend kalt.
»Einen Schluck Wein?«, fragte Rosanna. »Oder können Sie sich dann gar nicht mehr beherrschen?«
Lukas stöhnte auf. »Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut. Sie übrigens noch gar nicht. Dabei haben Sie nicht gerade gefühlvoll zugegriffen.«
»War wohl ’ne große Enttäuschung für Sie«, erwiderte Rosanna.
Sie legte den Rest ihrer Pizza auf den Teller zurück und stellte fest, dass ein Stück Schinken zwischen ihren Backenzähnen festsaß.
Lukas goss sich Mineralwasser ein, nahm einen Schluck und musste mit der in seinem Hals aufsteigenden Kohlensäure kämpfen.
»Tut’s denn noch weh?«, fragte Rosanna schließlich.
»Hab eigentlich kaum was gespürt«, erwiderte Lukas.
»Ich auch nicht.« Als er sah, wie sie sich über ihre eigene Bemerkung amüsierte, konnte auch Lukas sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotzdem wurde ihm langsam mulmig, als er daran dachte, wie der Abend weitergehen könnte. Auch Rosanna bereitete dies Kopfzerbrechen. Sie hatte keinen besonderen Plan verfolgt, als sie Lukas nach dem Flugzeugabsturz hergebracht hatte. Eigentlich wollte sie bloß einen Weg finden, um ihrer Schicksalsaufgabe endlich gerecht zu werden.
Ach, hör doch auf, spottete eine Stimme in Rosannas Kopf. Du weißt ganz genau, was hier los ist. Und worin deine Aufgabe besteht.
Lukas
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