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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Rognall
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einer Erklärung zuvor.
    »Ich versuche einfach, so wenig Ballast wie möglich anzusammeln.«
    »Wieso? Wirst du polizeilich gesucht?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    Sie lachten sich an und wussten, dass ihnen beiden nicht dazu zumute war.
    »Auch geschieden. Ist es das?«, fragte Rosanna.
    Lukas schüttelte den Kopf.
    »Was dann?«
    Lukas versuchte, die richtigen Worte zu finden, aber seine Stimme versagte ihren Dienst. Müdigkeit vernebelte seinen Verstand, und er fühlte sich zu schwach, um jetzt die Antwort zu geben, die sie brauchte.
    »Ein anderes Mal«, bat Lukas. »Okay?«
    Rosanna musterte ihn enttäuscht. Offensichtlich hatte Lukas aus gutem Grund bislang vermieden, mit ihr herzukommen. Die Anonymität seiner Wohnung schien auch seine Persönlichkeit zu verschlucken, all das, was sie an ihm für liebenswert gehalten hatte. Dass er ihr das Gefühl gab, sie auf Distanz halten zu wollen, verletzte sie noch mehr.
    Als er sie fragte, ob sie nicht einfach schlafen gehen könnten, rechnete Lukas nicht damit, dass sie ihn so einfach vom Haken lassen wollte. Zu seiner Verwunderung protestierte sie nicht einmal. Aber ein gutes Zeichen, das wusste Lukas, war das keineswegs.

    Lukas’ Bett war zu schmal für zwei. Trotzdem oder gerade deshalb hatte die Enge Rosanna und Lukas dazu veranlasst, miteinander zu schlafen. So mussten sie wenigstens kein weiteres Gespräch beginnen. Aber keiner von ihnen war wirklich bei der Sache gewesen. Mit der gegenseitigen Versicherung, einfach zu müde zu sein, hatten sie mittendrin voneinander abgelassen und Rücken an Rücken aufs Einschlafen gewartet.
    Als Lukas tatsächlich angefangen hatte, ruhig und gleichmäßig zu atmen, war Rosanna vorsichtig aufgestanden und aus dem Schlafzimmer geschlichen. Aber auch ihre ungestörte Suche nach Anhaltspunkten, die Aufschluss über all das hätten geben können, was Lukas ihr bislang nicht erzählt hatte, blieb vergeblich. Keine alten Fotos. Keine aufbewahrten Briefe oder ausgedruckten E-Mails. Keine Andenken. Keine persönlichen Widmungen in den wenigen Büchern, die ohnehin nur Sachliteratur wa ren. Entweder war Lukas der kaltherzigste Mensch, den sie je getroffen hatte – was sie nicht glaubte –, oder er hatte vor fünf Jahren nicht nur ein neues Leben angefangen, sondern eins, das keinerlei Erinnerungen bewahren sollte.
    Man musste natürlich kein Hellseher sein, um dahinter eine tiefe Verletzung zu vermuten. Es war klar, dass Lukas in einem Zustand andauernder Trau rigkeit lebte, und wer konnte das besser nachvollziehen als Rosanna? Was ihr aber Angst machte, war nicht die Frage, was genau Lukas widerfahren war, sondern warum er sich davon nicht lösen wollte. Hätte nicht längst ein natürlicher Selbsterhaltungstrieb das wie auch immer beschaffene Trauma verdrängen müssen, zumindest weit genug, um die Suche nach neuer Lebensfreude zu ermöglichen?
    Wie lange hatte das bei ihr gedauert? Ein, zwei Jahre? Okay, so richtig gut hingekriegt hatte sie das auch nicht, aber so sehr wie Lukas hatte sie sich nicht hängen lassen. Oder machte sie sich das nur vor?
    Rosanna betrat die Küche und öffnete den Kühlschrank, fand aber nichts darin außer einer fast ausgedrückten Tube Tomatenmark. Ihre Hoffnung auf einen großen Becher Schokoladeneis blieb unerfüllt.
    Im Badezimmer setzte sie sich auf den geschlossenen Klodeckel und grübelte. Dann stand sie auf und betrachtete sich eine Zeit lang im mit Zahnputzspuren beschmierten kleinen Spiegel. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie nackt war. Sie nahm das als Beweis dafür, dass sie sich in Lukas’ Gegenwart trotz allem immer noch wohlfühlte. Gleichzeitig kam sie sich schutzlos vor, all dem ausgeliefert, was am nächsten Tag auf sie einprasseln würde wie saurer Regen. Sie wusste nicht, wie sie sich Kira verständlich machen konnte. Sie hatte keine Ahnung, ob sie in der Lage sein würde, ihren Arbeitsplatz zu retten – oder ob das überhaupt einen Sinn hatte. Sie war unsicher, wie es mit Lukas weitergehen konnte, und ob sie sich diesen ganzen Schlamassel selbst eingebrockt hatte, mit dieser unbeirrbaren Überzeugung, es gäbe so etwas wie Schicksal und dass dieses Schicksal es darüber hinaus auch noch gut mit ihr meinen könnte.
    Aber in einem Punkt war sie ganz sicher. Sie würde sich nicht damit zufriedengeben, wie Lukas in einem Vakuum zu leben. Sie würde sich nicht damit begnügen, Stillstand als Lebensperspektive willkommen zu heißen. Sie würde die Antwort auf ihre Fragen suchen und

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