Bestimmt fuer dich
Idee, sämtliche Taxiunternehmen nach einem Kunden mit Rollstuhl zu befragen, förderte ebenfalls keinen Anhaltspunkt zutage. Vielleicht hatte der alte Mann mit einer solchen Recherche gerechnet und seinen Fahrer bestochen. Natürlich konnte es auch sein, dass Fritz absichtlich oder versehentlich irgendeine Garagenabfahrt heruntergerollt oder im Schatten einer Hecke nach einem erneuten Herzanfall gestorben war. Die örtlichen Krankenhäuser meldeten keinen Notpatienten, auf den Fritz’ Beschreibung passte. Und die Polizei, die die Heimleiterin nur ungern verständigte, versprach zwar, sich umzuschauen, verwies aber ebenfalls auf eine Personalknappheit, die eine konzentrierte Suchaktion so wahrscheinlich machte wie eine der Aufgabe angemessene Bezahlung.
»Wie konnte es überhaupt dazu kommen?«, ärgerte sich Lukas, während er durchs Beifahrerfenster starrte. »Wie kann ein fast hundertjähriger Kerl unbemerkt aus seinem Zimmer, den Gang hinunter, in den Fahrstuhl, aus dem Fahrstuhl heraus, durch das Foyer und durch den Ausgang gelangen, mit einem recht schwergängigen Rollstuhl, den er aus eigener Kraft doch kaum bewegen konnte?«
»Vielleicht ist er stärker, als alle dachten«, erwiderte Rosanna.
Lukas rieb sich müde über das Gesicht. »Wahrscheinlich hat er irgendeinen Idioten angehalten und dafür bezahlt, ihn ans Meer zu fahren. Weil ich mich geweigert habe.«
»Jetzt hör auf, dir Vorwürfe zu machen.«
»Du meinst, ich bin nur ein Pechvogel, der an überhaupt nichts schuld ist?«
Rosanna warf ihm einen genervten Blick zu, wollte aber auf die Provokation nicht eingehen. Sie schaltete das Radio ein. Die Doobie Brothers sangen »What a fool believes«.
»Mein Lieblingslied«, sagte Lukas ironisch.
Rosanna drückte die Sendersuchlauftaste. »Ironic« von Alanis Morissette ertönte. Rosanna suchte weiter. »Who wants to live forever«, fragte sich Freddie Mercury, was Rosanna in der gegenwärtigen Situation ebenfalls unpassend fand. Die Beatles forderten auf der nächsten Station »Let it be«, und Sting riet auf der folgenden Frequenz nachdrücklich »If you love somebody set them free«. Rosanna fasste es nicht. Es musste doch wenigstens ein Sender etwas spielen, das sie nicht auf die Vorhersage des großen Shandu beziehen konnte! Aber auf der nächs ten Station trällerte Lilly Allen »Fuck you« und auf der übernächsten beschwor Jennifer Rush theatralisch ihre große Liebe in »Destiny«. Als auf einer weiteren Station auch noch Totos »Make believe« erklang, hämmerte Lukas selbst auf die Suchlauftaste, woraufhin Simon & Garfunkel »Fifty ways to leave your lover« aufzählten.
Rosanna schaltete das Radio aus. Eine Weile waren sie beide froh, nur das Motorengeräusch des Wagens zu hören. Dann sahen sie sich an und mussten nervös lachen. Aber nicht für lange. Lukas’ Augen weiteten sich. Rosanna folgte seiner Blickrichtung fast zu spät. Panisch trat sie auf das Bremspedal. Das Heck ihres Wagens rutschte weg, sodass sie plötzlich parallel auf jenen LKW zuschrammten, der auf ihrer Fahrspur mit einem platten Reifen und kaum wahrnehmbaren Warnblinklicht abgestellt worden war. Rosanna lenkte hektisch in die andere Richtung, was eine abrupte weitere Drehung ihres Wagens zur Folge hatte, bis sie und Lukas kräftig durchgeschüttelt in umgekehrter Fahrtrichtung auf dem Bürgersteig neben dem LKW zum Stehen kamen.
Atemlos starrten sie einander an. Bis auf den Schrecken in ihren Knochen war ihnen nichts passiert. Und sicher war der Beinaheunfall ganz allein ihre Schuld, weil sie sich mit dem Radio abgelenkt hatten, anstatt auf die Fahrbahn zu achten. Trotzdem hatte Lukas genug. Er stieg aus Rosannas Wagen und sah entnervt zum sternenklaren Himmel auf.
Rosanna folgte ihm. Ihre Knie zitterten noch, aber sie war bereits dabei, sich wieder zu beruhigen. In Lukas schien die Panik hingegen gerade erst richtig auszubrechen.
»Alles okay?«, fragte sie ihn.
»Nichts ist okay.« Er fuhr sich durch die Haare, schüttelte den Kopf und atmete wütend aus. »Er hat recht«, fauchte Lukas. »Der große Shandu hat verdammt noch mal recht!«
»Lukas …«
»Worauf wartest du denn noch? Heuschrecken?« Er lächelte Rosanna verzweifelt an. »Wir hätten uns nie begegnen dürfen.«
»Das ist doch Unsinn«, widersprach Rosanna. »Wenn du mich nicht wiederbelebt hättest – «
»Dann hätte es jemand anders getan!«, rief Lukas. »Wer weiß, vielleicht sogar jemand, der wirklich bestimmt für dich war!«
»Da
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