BETA (German Edition)
wahrscheinlich das bestaussehende Orchester der Welt.
Aber es gibt immer etwas auszusetzen. »Perfekter Klang, aber ohne Leidenschaft«, lautet Mutters Kommentar. Unbeeindruckt wedelt sie mit ihrem Straußenfächer, während das Orchester sein Mozartstück beendet.
Mutter hat an der großen Flügeltür des Ballsaals Position bezogen, wo sie gemeinsam mit dem Governor alle eintreffenden Gäste begrüßt. Das Thema des diesjährigen Balls ist die griechische Götterwelt, weshalb Mutter als Hera kostümiert ist, die Göttin von Heim und Ehe – aber als Ehefrau des untreuen Zeus auch eifersüchtig und rachsüchtig. Ihr Wagen wird von Pfauen gezogen, weshalb Mutter jetzt wenigstens einen Pfauenfächer hat. Der Governor ist selbstverständlich als Zeus verkleidet. Liesel trägt als Göttin Iris ein Kleid in allen Regenbogenfarben, und Ivan, der bald zum Militär geht, ist in eine Uniform gekleidet, allerdings mit einem geklonten schwarzen Geier auf der Schulter, der Ares symbolisiert, den griechischen Gott des Krieges. Die Geier als Vögel, die sich auf den Leichen der Schlachtfelder niederlassen, waren in der Antike Ares geweiht.
Nicht alle Familien sind dem Götterthema folgend kostümiert. Der festliche Ball wird zur Feier von Frieden und Wohlstand veranstaltet, doch die Zerstörung und die schweren Verluste während der Water Wars liegen noch nicht lange zurück. Die Familien, die noch trauern, sind zu solchen Anlässen traditionell schwarz gekleidet. Auch die Fortesquieus zählen zu ihnen. Tariq und Bahiyya haben beschlossen, Tahir zum Ball mitzubringen. Während der Woche, die ich in ihrem Haus verbrachte, hatten sie mehrfach darüber diskutiert, ob Klon-Tahir tatsächlich schon weit genug sei, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Das Training mit den Karteikarten – und vielleicht auch die Tage mit einer Teen-Beta – muss so erfolgreich gewesen sein, dass sie jetzt tatsächlich mit ihm erscheinen. Tahirs wilde Frisur – die Haare halb geflochten, halb offen – ist verschwunden und durch acht Reihen perfekter Zöpfe ersetzt. Tariq und er tragen maßgeschneiderte schwarze Seidenanzüge, einfach und elegant. Bahiyya, die vielleicht mehr Verluste durch den Krieg als jede andere im Raum anwesende Person zu beklagen hat, ist in ein Gewand gekleidet, das ihrer königlichen Statur entspricht: kein Kleid, sondern ein schwarzes Seidenensemble mit Hose und locker fallender Jacke über einem mit Seidenkrepp, Stickerei und Spitze verzierten Oberteil, für das Stoffe aus einer Morgentoilette von Queen Victoria verwendet wurden, die Tariq auf einer Sonderauktion des inzwischen aufgelösten königlichen Museums erstanden hatte. In Bahiyyas langes weißes Haar, das ihr bis zur Hüfte reicht, sind juwelenbesetzte Bänder eingeflochten – Saphire, Diamanten, Rubine und Smaragde funkeln im Kerzenlicht.
Mutter hat beschlossen, dass ich Artemis darstellen soll, die griechische Göttin der Jagd. Als Kostüm hat sie für mich ein leichtes, flatteriges, kurzes weißes Kleid mit einem goldenen Zopf als Gürtel gewählt, das meinen Körper mehr enthüllt als verhüllt. Zwar fällt es mir bis knapp übers Knie, aber der Ausschnitt reicht mir fast bis zum Bauchnabel und meine Brüste werden von dem dünnen Stoff kaum bedeckt. Meine Haare sind jetzt so kurz, dass Mutter auf die für mich vorgesehene Hochsteckfrisur verzichten musste. Stattdessen habe ich nun eine Girlande aus weißen Blüten um den Kopf gewunden. Meine Augen sind von einem kupferfarbenen Lidstrich umrahmt. Meine Wimpern sind schwarz und lang. Violetter Lidschatten zieht sich bis zu meinen Schläfen. Ich trage einen helllila Lippenstift.
Mutters Beta, die bald an keine Geringeren als die Fortesquieus verkauft werden soll, ist ein zu wertvoller Besitz, um nicht beim Governor-Ball ausgestellt und vorgeführt zu werden. Die ganze Insel soll erfahren, was die reichste und mächtigste Familie der Welt von ihr begehrt. Alle können mich bestaunen, wie ich auf der Schaukel über ihren Köpfen hin- und herschwinge. Jetzt wird jeder eine solche Teen-Beta haben wollen und Mutter ist für dieses eine Mal die absolute Trendsetterin. Das hofft sie jedenfalls. Die bewundernden Kommentare der ersten Gäste des Abends haben ihr sehr geschmeichelt. »Wie reizend!« – »Was für eine Augenweide!« – »Das schönste Beta-Modell, das ich gesehen habe!« Kicher kicher murmel murmel.
Ich schwinge unbeteiligt über ihren Köpfen hin und her, auf dem Fest weder Gast noch
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