BETA (German Edition)
zeigen, was ich alles kann. Wenn es bei den Fortesquieus gut läuft, dann würde das doch auch ein gutes Licht auf die Familie des Governor werfen, weil sie als Erste die Idee hatten, einen Teen-Klon zu kaufen.
Als wir die Treppe hochstürmen, bemerke ich, dass der Felsspalt, in dem Ivan seine Raxia-Samen und die anderen Zutaten versteckt hatte, leer ist. »Wo ist denn dein Chemiebaukasten?«, frage ich.
»Ich hab das Material in ein Versteck in meinem Zimmer gebracht, eine geheime Nische in meiner Wand.«
»Hast du keine Angst, dass der Governor es dort entdeckt?«
»Klar. Aber er hat keine Ahnung, dass ich auf Raxia bin, warum sollte er also danach suchen? Außerdem ist seine größte Sorge, dass ich für die Base in Topform bin; deshalb kümmert er sich nur darum, wie viele Kohlenhydrate ich zu mir nehme und wie lang ich jeden Tag trainiere. Darauf, dass ich Raxia nehmen könnte, kommt er überhaupt nicht. Haha, Vorteil für mich! Und ich kann jetzt auch leichter an meinen Vorrat ran. Ist inzwischen ziemlich riskant geworden, das Material in der freien Natur herumliegen zu lassen.«
»Warum das denn?«
»Es wird mir auf der Insel zu viel rumgestöbert. Überall suchen sie nach Raxia. Aber ins Haus der Governors würden sie sich nie wagen.«
Alle auf der Insel haben ihre Geheimnisse.
Ich möchte am liebsten laut losschreien.
Als Ivan und ich das Ende der Steilstufen erreicht haben und zum Haus zurückgehen, hören wir Lärm. Der schrille Aufschrei einer Frau, gefolgt von Geräuschen, die sich wie Schüsse anhören, dann rennt auf einmal jemand aus der Villa in den Garten heraus und auf uns zu.
Es ist Xanthe. Der Governor und Mutters Leibwächter jagen hinter ihr her. »Ein defekter Klon!«, brüllt der Governor. »Wie kannst du es wagen, vor meinem kleinen Mädchen auszurasten!«
Nein! Liesel muss es ihrem Vater erzählt haben, dass Xanthe sich ins Handgelenk geritzt hat.
Xanthe rennt an uns vorbei. Jetzt steht sie an der vordersten Kante des Kliffs. Ich sehe sie schon springen, aber –
»Schau nicht hin«, sagt Ivan, legt mir den Arm um die Hüfte und drückt meinen Kopf an seine Schulter.
Ich sehe trotzdem hin.
Die Leibwächter haben Xanthe umringt. Sie kann nirgendwohin fliehen.
»Freiheit für die Klone!«, brüllt sie, und es klingt wie ein Schlachtruf. Sie reckt kämpferisch die Faust in die Luft.
Der Governor zielt mit dem Gewehr auf sie. Aber er schießt nicht.
Stattdessen stößt einer der Leibwächter Xanthe von der Felskante.
Ihre Schreie hallen über das Anwesen, als sie die Klippe hinunterstürzt. Ich sehe ihren Körper vor mir, wie er immer wieder gegen den zerklüfteten Fels prallt.
Noch bevor sie unten ins Wasser stürzt, hören die Schreie auf.
Sie ist schon tot, bevor sie von den Wellen verschlungen wird.
Ich fühle mich taub und leblos. Das Einzige, was ich denken kann, ist, dass die Sonnenanbeter am Strand sie bestimmt auch gehört haben. Was fürs Paradies nicht gut sein kann.
Als ich am Abend allein in meinem Zimmer bin, übermannt mich die Trauer. Ich spüre in mir Wut und Verzweiflung – und ich fühle auch Schuld. Ich hab ja gesehen, wie erschrocken Liesel war, als Xanthe blutete. Ich hätte mir denken können, dass sie ihrem Vater davon erzählen würde. Ich hätte Liesel erzählen sollen, dass Xanthe mir nur etwas vorgespielt hat. Ich hätte ihr irgendeine Lügengeschichte erzählen sollen, ihr weismachen müssen, alles sei ganz normal. Warum hat mein Chip nicht auf Selbsterhaltung geschaltet? Wieso hat er keinen Schutzinstinkt ausgelöst, sodass ich meine Klonschwester schützen konnte? Vielleicht war sie ja defekt, aber sie war meine Freundin und einzige Vertraute. Sie bedeutete mir mehr, als mir alle Mitglieder der Familie des Governor jemals bedeuten würden.
Ich spüre einen bitteren Geschmack im Mund. Mein Körper krümmt sich wie ein Embryo zusammen. Ich will mit der Welt nichts mehr zu tun haben. Was ich jetzt empfinde, bestätigt mir, was ich bisher zwar ahnte, aber nicht wahrhaben wollte. Ich bin nicht nur eine Teen-Beta mit ein paar kleinen Besonderheiten. Ich habe Gefühle.
Ein Familienmitglied der Brattons, ein Ersatz für Astrid, werde ich nur solange sein, wie ich mich als angepasstes Mädchen verhalte, das alle Wünsche der übrigen Familienmitglieder um sich herum erfüllt; nicht wie ein wirkliches Mädchen, das Gefühle und Wünsche und Begierden hat und auch eine dunkle Seite in sich trägt. Anders als Astrid bin ich schnell überflüssig,
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