BETA (German Edition)
umgebracht? Ivan hat mir einmal erzählt, dass im offenen Meer weit außerhalb des Schutzrings, der um Demesne gezogen ist, Piraten ihr Unwesen treiben. Seit die Eiskappen an den beiden Polen des Planeten geschmolzen sind, ist der Ozean dort stürmisch und wild. Der Meeresspiegel ist viel höher als früher, und die Wogen sind unberechenbar geworden, zornig und aufgepeitscht. Ivan sagte, es gebe viele, die auf der Suche nach dem großen Kick ihr Leben riskierten. Sie würden auf die See hinausfahren und versuchen, illegal nach Demesne zu gelangen, oder auch nur bis zu den Rave Caves. Viele von ihnen werden von Piraten geschnappt, getötet und dann an Dr. Lusardi verkauft. Hat so etwas auch dazu geführt, dass ich erschaffen wurde? Wurde meine First ermordet, damit ihr Körper – ohne die Seele – geklont werden konnte? Und das alles, damit eine reiche Familie auf Demesne ein neues Spielzeug hat?
Die Menschen erschaffen Leben und verursachen Tod. Vollkommen sinnlos. Für nichts. Es darf nicht sein, dass der Tod von Xanthe und von meiner First umsonst gewesen ist. Wie kann ich ihren Tod rächen? Kann ich es überhaupt?
Der Gedanke an ihren Schmerz und ihr Leid – Xanthes und meiner First – versengt mir das Hirn, mir wird schwindlig und ich bekomme weiche Knie. Ich habe nicht darum gebeten, als Klon gezeugt zu werden. Ich will diese Menschengefühle, Wut und Empörung über Ungerechtigkeit, nicht empfinden. Aber der Schmerz Xanthes und meiner First pocht durch meinen Schädel und hält mich fest umklammert. Ich bekomme keine Luft mehr. Es überwältigt mich. Das Zimmer fängt an, sich um mich herum zu drehen, ich stürze und verliere das Bewusstsein.
Als ich aufwache, liege ich mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Vom Bett her höre ich Schnarchen. Mutter schläft noch.
Ich muss ohnmächtig geworden sein. Mein Gehirn muss so viele Gedanken an Leid nicht ertragen haben. Ich bin dem entflohen.
Fliehen.
Wie Xanthe hat vielleicht auch meine First zu fliehen versucht, als sie merkte, dass ihr Ende nahe war.
Ich balle die Hände zu Fäusten und bewege die Zehen, um den Blutkreislauf anzuregen. Ich leiste einen Schwur. Wenn die Zeit gekommen ist, schwöre ich, und wenn mich die Gefühle von Zorn und Empörung wieder zu überwältigen drohen, dann werde ich nicht mehr ohnmächtig. Dann werde ich kämpfen.
Vierundzwanzigstes Kapitel
I m Luftmobil ist die Strecke zwischen der Villa des Governor und dem Anwesen der Fortesquieus schnell zurückgelegt. Mutter nutzt jede Sekunde, um mir noch einmal Anweisungen zu geben, wie ich mich bei meinen vorübergehenden neuen Eigentümern zu verhalten habe. Ich muss tun, was sie mir sagen, anziehen, was sie wollen, und überhaupt die Person sein, die sie in mir sehen wollen. Aber sie müssen mich in demselben Zustand zurückgeben, in dem sie mich erhalten haben. Wenn sie mir zum Beispiel die Haare schneiden oder ein neues Tattoo anbringen lassen wollen, muss ich sie darauf hinweisen, dass sie vorher bitte Kontakt mit Mutter aufnehmen sollen.
Mutter und ich sitzen uns im hinteren Teil des LUV gegenüber, mit einer geöffneten alten Kleidertruhe zwischen uns. Mutter hat sich bis zum allerletzten Augenblick nicht entscheiden können, welche Kleidungsstücke ich mitnehmen soll, deshalb wühlt sie jetzt während des Flugs in der Truhe. Sie ist mit Kleidern vollgepackt, die Astrid nie getragen hat. Mutter hat sie für sie aufgehoben, falls ihre Tochter eines Tages ihren Grungelook aufgeben und stattdessen lieber eine Fashonista mit Vorliebe für Vintage-Klamotten werden sollte. Mutter zieht einen rosé-champagnerfarbenen Fummel heraus und hält ihn kurz hoch. »Um da reinzupassen, dürfte ich einen Monat lang nichts mehr essen«, seufzt sie. »Aber du wirst darin entzückend aussehen. Ja, das sollten wir noch in deinen Koffer packen. Du kannst es zum Abendessen bei den Fortesquieus tragen.«
»Ja, Mutter.«
»Ich wünschte, Klone hätten auch Relays, damit du mir gleich alles erzählen könntest, was du dort erlebst«, seufzt sie.
Ivan sagt, ich kann froh sein, dass ich kein Relay besitze. Klone brauchen auch überhaupt nicht so viel zu wissen, sagt er. Alles, was wir benötigen, sei auf unserem Chip gespeichert, und das sei eine große Erleichterung. Er hat mir erzählt, Astrid habe ihr Relay extra kaputt gemacht, als sie zum Studium fortgegangen ist. Ständig ihre Mutter dort auf dem Display auftauchen zu sehen, sei für sie der schlimmste Albtraum gewesen.
»Natürlich
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