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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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gerade die Amphore auf ihren hohen Sockel zurückstellten.
    Das Gefäß stand so hoch, dass man es ohne Stuhl oder Leiter nicht berühren konnte, doch die Leierspielerin war gut zu erkennen. Mehr denn je erinnerte sie ihn mit ihrer Schönheit und Unberührbarkeit an Miss Chase.
    „Überlegen Sie, wie Sie sie entwenden können?“, fragte Calliope.
    Er sah sie mit regungsloser, fast marmorner Miene an der Salontür stehen und spürte ihre Anspannung. Ihr Verdacht hätte ihn nicht überraschen sollen. Seit sie den Hermes in seinem Haus vermisst hatte, waren sie immer aneinandergeraten; ja, es wurde von Begegnung zu Begegnung schlimmer. Doch nachdem er sich ihr vorhin im Saal so magisch verbunden gefühlt hatte, schmerzte die Unterstellung nun umso mehr. Offenbar war sie weder eine wundervolle Muse noch eine schreckliche Gorgo, sondern doch einfach die kühle Athene, für die er sie früher bereits gehalten hatte.
    Er verbarg seine Enttäuschung unter einstudierter Nonchalance, unter einer Kälte, die sich mit der ihren messen konnte. „Vielleicht möchten Sie näher treten und mich durchsuchen, Miss Chase? Die frische Lilie in meiner Tasche suchen?“ Er spreizte die Säume seines Rocks ab, sodass sie das seidene Innenfutter sehen konnte.
    Sie straffte die Schultern. „Ich bin kein Dummkopf, Lord Westwood.“
    „Nein, wirklich, Miss Chase: ‚Dumm‘ ist das letzte Wort, mit dem man Sie beschreiben könnte. ‚Irregeleitet‘ vielleicht.“
    Tief in ihren unergründlichen Augen blitzte so etwas wie schwarzes Feuer auf, aber sie verlor wie üblich nicht die Beherrschung. „Irregeleitet? Nicht ich bin diejenige, die für eine vermeintlich gerechte Sache zum Verbrecher wird. Nicht ich setze die Ehre meiner Familie oder den guten Ruf unserer Gelehrten leichtfertig aufs Spiel. Wer in den Genuss einer guten Erziehung gekommen ist und das Privileg des Reisens genießt, hat eine Verantwortung …“
    „Und was befähigt Sie, Calliope Chase, mich über Pflicht und Ehre zu belehren?“
    Sein Temperament, das er so lange gezügelt hatte, explodierte wie ein veritables Feuerwerk. Er trat auf sie zu, bis ihm der Sommerduft der Rosen in ihrem Haar in die Nase stieg und er die zarten bläulichen Adern unter der elfenbeinweißen Haut an ihrer Kehle pulsieren sah. Er konnte das inbrünstige Verlangen kaum noch zügeln, sie zu packen und ihr Eis mit seinen Küssen zum Schmelzen zu bringen.
    Sie wandte sich nicht ab, sondern blickte mit großen Augen schweigend und fest zu ihm auf. Fast meinte er, ihr Herz schlagen zu hören. Seine Hand bewegte sich eigenmächtig auf jenes Fleckchen nackter Haut zwischen ihren langen Handschuhen und den kurzen Kleidärmeln zu, aber mit einem letzten Aufgebot an Selbstbeherrschung zwang er seinen Arm wieder nach unten und trat einen Schritt zurück.
    „Wie können Sie mich so verkennen, Miss Chase?“, fragte er heiser. Dann stürmte er an den überraschten Lakaien vorbei zu Haustür hinaus. Die Luft war kühl und feucht, als er die stille Straße entlanglief, fort vom Licht und der Musik in Lady Russells Haus. Doch Calliope Chase ließ ihn so leicht nicht los; ihr stummer, anklagender Blick schien ihn zu verfolgen.
    „Dieses Höllenweib“, murrte er. Es gab nur einen Ort, der diese Gedanken vertreiben konnte: den verrufensten Spielclub, den er kannte, fern von diesen sauberen Straßen und properen Häusern. Im „Satanswürfel“ würde Calliope Chases Geist das Feld räumen müssen.
    Als Lady Russells Haustür hinter Lord Westwood zuschlug, sank Calliope schwach und zittrig am Fuß des Podests, auf dem die Amphore stand, zusammen. Warum musste das nur immer so enden? Ein Schwall Musik drang ins Foyer, als die Salontür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Zarte Füße eilten über das Parkett. „Callie?“, flüsterte Clio und legte den Arm um ihre Schwester. „Ist dir übel?“
    „Nein, nein. Ich … brauchte nur etwas frische Luft“, murmelte Calliope. „Ich habe etwas Dummes gesagt, wie immer, und er ist gegangen. Ist einfach auf die Straße hinausgelaufen, weil er mich nicht mehr ertragen hat!“ Calliope bemerkte, dass Clio ihr kaum folgen konnte. Sie verstand sich ja nicht einmal selbst!
    Clio blickte zur Haustür. „ Wer ist gegangen?“
    „Lord Westwood.“
    „Du meinst, du hast dich hier draußen mit Westwood unterhalten, und dann ist er wütend geworden?“ Clios Blick fiel auf die Amphore über ihren Köpfen, und sie riss die grünen Augen auf. „Oh nein, Callie! Du hast

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