Betörend wie der Duft der Lilien
glücklich. Noch glücklicher wäre ich allerdings, wenn ich mich schon umgezogen hätte, damit ich unsere Gäste nicht im Tageskleid begrüßen muss.“
„Dann fort mit dir, Calliope. Ich werde hier sitzen bleiben und überlegen, wie ich Mr. Berryman die zehn Schilling wieder abknöpfen kann, die er mit beim letzten Kartenspiel abgenommen hat.“
„Was für empörende Ausschweifungen, Vater“, neckte Calliope ihn. „Kannst du bitte auch darauf achten, dass die Diener die Kuchen ordentlich auf den Teetisch stellen?“
„Natürlich. Was Kuchen angeht, ist auf mich immer Verlass.“ Calliope eilte am geschäftigen Personal vorbei die Treppe hinauf. Eigentlich hätte sie sich mit den Getränken und der Gästeliste befassen sollen, aber ihr gingen nur die Worte ihres Vaters im Kopf herum.
Für einen Mann mit so vielen Töchtern zeigte er ausgesprochen selten Interesse am Thema Eheanbahnung. Er lebte ganz in seiner klassischen Welt, in der Mitgiften und Verlöbnisse kaum eine Rolle spielten. Hatte er wirklich Lord Westwood als potenziellen Schwiegersohn ins Auge gefasst? Mit seiner alten Freundin Lady Rushworth bereits Pläne geschmiedet? Dachte wirklich jeder um sie herum, dass sie Cameron heiraten würde, nur weil sie sich so leicht in die Haare gerieten?
Als Calliope ihr Schlafzimmer betrat, legte Mary gerade eines ihrer vielen weißen Abendkleider bereit. War sie wirklich so berechenbar? Immer weiße Kleider, immer Zank mit Lord Westwood? Wenn doch nur alles im Leben so einfachen Mustern folgen würde! Aber nein, stets tauchten irgendwelche Hindernisse auf. Diebe. Ein Duke, der von ihrer Schwester besessen war.
Und ein hübscher junger Earl.
Calliope schob diese Gedanken beiseite und legte das Schultertuch ab, um sich ihrer Abendtoilette zu widmen. Ein Kartenabend war nicht der geeignete Anlass, um plötzlich unberechenbar zu werden. Aber wenn die Leute wirklich glaubten, sie würden Calliope Chase in- und auswendig kennen, dann würden sie sehr bald eines Besseren belehrt werden!
Im Salon der Familie Chase ging es entschieden anders zu als im Ballsaal des Dukes. Es gab keine Fantasiekostüme, keine Götter, Ungeheuer und Nymphen, nur gewöhnliche Sterbliche in eleganter, dezenter Abendgarderobe. Kein wilder Tanz, kein Gedränge und Geschiebe und viel weniger Kunstwerke. Aber wenigstens waren ihre Statuen, wie Calliope sich ins Bewusstsein rief, legal erworben und sorgfältig erforscht worden.
Eines jedoch war gleich: Lord Westwood war da. Er saß ihr am Kartentisch gegenüber, diesmal nicht als Hermes mit nackten Armen und wilden Locken, sondern in einem modischen blauen Frackrock und mit makellos gebundenem Krawattentuch, aber nichtsdestoweniger sehr anziehend. Calliope betrachtete ihn heimlich über ihr Blatt hinweg. Er war eindeutig ein besserer Schnüffler als sie. Er lachte unbefangen und riss Witze und studierte in Seelenruhe sein Blatt, während sie ständig dazu tendierte, den Leuten direkt ins Gesicht zu starren, um ja kein verräterisches Augenzucken zu verpassen.
Bislang hatten ihre Beobachtungen nichts Interessantes erbracht. Niemand bedachte die Sammlung ihres Vaters mit ungebührlich gierigen Blicken. Niemand verplapperte sich oder zuckte zusammen. Niemand errötete, als das Gespräch auf den Duke kam. Niemand ließ irgendwelchen antiken Nippes in seine Rocktaschen gleiten.
Calliope betrachtete seufzend ihr Blatt. Sie hätte eine schrecklich schlechte Ermittlerin abgegeben, denn sie wusste einfach nicht, wie sie hinter die Fassaden der Menschen blicken und ihre wahren Absichten erkennen sollte.
Cameron war jetzt ihr Verbündeter, aber es war ein Zweckbündnis. Konnte er dennoch der Liliendieb sein? Und was hatte es mit dem Duke und seiner seltsamen Liste auf sich? Wer war Karl der Große, wer die graue Taube? Die violette Hyazinthe und Cicero? Das war alles sehr verwirrend und brachte ihre ordentliche kleine Welt aus dem Lot. Konnte die alte Ordnung überhaupt wiederhergestellt werden? Wie?
„Also dann“, sagte Mr. Smithson, der mit Emmeline gegen Calliope und Cameron spielen würde. „Sollen wir?“
„Hast du schon irgendetwas herausgefunden?“, fragte Calliope, als Emmeline und sie sich während einer Spielpause am Teetisch trafen. Sie hatten ihre Ruhe, da ihr Vater sich gerade über die punischen Kriege verbreitete und Lady Rushworth seinem Standpunkt leidenschaftlich widersprach. Es gab wirklich nichts, was diese Leute mehr entzückte als eine lebhafte Debatte über einen
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