Betörend wie der Duft der Lilien
den anderen Kutschen zu kollidieren. „Angenommen, der Liliendieb – oder irgendein anderer – stiehlt tatsächlich die Alabastergöttin. Wäre sie dann wirklich schlechter dran als jetzt?“
„Wenigstens wissen wir im Moment, wo sie ist. Es besteht die Chance, dass der Duke sie eines Tages einem Museum oder einem anerkannten Gelehrten überlässt. Wenn sie gestohlen wird, taucht sie höchstwahrscheinlich nie wieder auf. Sie wäre für die Forschung verloren.“
Cameron schüttelte den Kopf. „Calliope, sie ist bereits erforscht worden. So gründlich, wie das fernab ihres ursprünglichen Standorts überhaupt möglich ist. Der Duke hat sie nicht verdient.“
„Darin sind wir uns einig. Er verdient keine der Antiquitäten in seinem Haus! Aber sie gehört ihm nun einmal.“
„Und Sie finden, das gibt ihm das Recht …“
Calliope berührte ihn beschwichtigend am Arm. „Bitte, Cameron. Ich brauche Ihre Hilfe. Wir sollten uns nicht streiten.“
Er sah sie eindringlich an. „Wobei genau benötigen Sie meine Hilfe?“
„Das habe ich doch schon gesagt: Wir müssen Artemis behüten. Bei allen Meinungsverschiedenheiten sind wir uns darin doch einig, oder?“
„Ja, sicher.“
„Dann schließen wir einen Waffenstillstand? Ein neue Allianz, der Alabastergöttin zuliebe?“
Er schwieg so lange, dass Calliope schon befürchtete, er werde ihr Friedensangebot ausschlagen, sie am Wegesrand aussetzen und, schallend über ihre Naivität lachend, davonfahren. Doch schließlich legte er seine Hand auf ihre. „Sehr gut. Eine Waffenruhe. Also, wie gedenken Sie unseren göttlichen Schützling zu retten? Das Haus des Dukes unter Beobachtung stellen? Sich an seine Fersen heften? Sobald er wieder bei Sinnen ist, natürlich.“
Calliope lachte erleichtert auf. „Ich fürchte, so weit habe ich noch gar nicht vorausgeplant. Genau dafür brauche ich ja Ihren Rat.“
„Ich dachte, Strategien wären Athenes Stärke.“
„Leider nicht mehr, seit ich meinen Helm gegen diese Haube eingetauscht habe. Aber gemeinsam wird uns schon etwas einfallen. Kommen Sie doch morgen Abend zu uns. Mein Vater veranstaltet einen Kartenabend.“
„Schlachtpläne schmieden bei einer Runde Whist, was?“
„Vielleicht wäre es besser gewesen, die Trojaner hätten auch einfach Karten gespielt statt Krieg zu führen.“ Calliope lehnte sich zurück und spannte ihren Schirm wieder auf. Sie fühlte sich behaglich und zufrieden. Das Bündnis war geschlossen, ein neues Kapitel hatte begonnen. „Vielen Dank, Cameron. Sie werden es nicht bereuen, das verspreche ich Ihnen.“
Sie werden es nicht bereuen.
Cameron lachte lauthals, als er die Stufen zu seiner Tür hinauflief. Da irrte Calliope Chase sich gewaltig: Er fing bereits an, es zu bereuen. Wenn er sich mit ihr verbündete, um die Alabastergöttin zu beschützen, würde er viel Zeit mit ihr verbringen. Und sich ständig zusammennehmen müssen, um sie nicht zu küssen.
Immer, wenn er sie heute angesehen hatte – ihre helle Haut, von der Sonne mit einem Goldton überzogen, ihre Wangen rosig vor Aufregung, ihre beim Atmen leicht geöffneten Lippen –, hatte es ihn unermessliche Selbstbeherrschung gekostet, sie nicht an sich zu ziehen. Nicht diese roten Lippen zu küssen, ihre Nachgiebigkeit und Wärme zu erspüren. Er war versessen darauf, ihr Gesicht zu liebkosen und zu erforschen – ausgerechnet Calliope Chase! Eine Frau, die ihm stets mit Misstrauen und Abneigung begegnet war. Eine Frau, deren Schönheit durch ihre Starrköpfigkeit mehr als wettgemacht wurde!
Bis zu diesem vermaledeiten Maskenball zumindest. Die albtraumhaften Ereignisse und die akute Gefahr hatten irgendetwas zwischen ihnen verändert. Das alte Misstrauen hatte Sprünge bekommen und war zerplatzt, aber wodurch es ersetzt worden war, vermochte er noch nicht zu benennen.
Außer Begehren, und begehrt hatte er sie im Grunde immer schon.
Und jetzt waren sie Verbündete in einem höchst diffusen Vorhaben.
Cameron ging in seine Bibliothek und betrachtete das Bild der Athene mit ihren ernsten grauen Augen. Abgesehen davon, dass Calliopes Augen braun waren – dunkelbraun wie süße Schokolade – glichen die beiden Frauen sich aufs Haar. Er fragte sich, ob auch Athene einer kunstverständigen Gesellschaft angehört hatte.
Calliope und ihre Freundinnen führten eindeutig etwas im Schilde. Er hatte das schon geahnt, bevor er den Duke in seiner Galerie entdeckte, denn Emmeline Saunders und sie hatten beim Tanz Blicke
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