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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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meiner Schwester und wegen der Diebstähle, und … ich war einfach außer mir. Es tut mir leid. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.“
    Sie eilte die Stufen hinauf und rief, ohne sich umzublicken: „Tee im Wohnzimmer, Lord Westwood.“
    Seiner Stimme entkam sie jedoch nicht. „Du kannst nicht ewig vor mir davonlaufen, Calliope Chase.“
    Vielleicht nicht ewig, aber zumindest dieses Mal.

15. KAPITEL

    Die kleine Exkursion, die Emmeline für ihren ersten Ferientag vorgesehen hatte, sollte sie zu einem der berühmten Wasserfälle der Region führen. „Das wird euch gefallen“, versprach sie, als sie – gegen die Morgenkühle in Umhänge gehüllt – aufbrachen. „Es ist so mystisch da. Ein Ort ohne Zeit.“
    Ein Ort ohne Zeit. Wenn Calliope sich in dieser Landschaft umsah, die so ganz anders war als ihre vertraute Umgebung, fiel es ihr leicht, das zu glauben. Der Nebel hing dicht über dem Boden, ein Netz aus silbrigem Tüll über der dunkelgrünen Erde, festgehalten zwischen den alten Steinmauern. Die vollkommene Stille wurde nur ab und zu vom Blöken eines Schafs oder dem Gelächter ihrer Gefährtinnen durchbrochen.
    Cameron tauchte neben ihr auf und passte seinen Schritt an, und sie lächelte ihm zögerlich zu. Auch er wirkte in seinen schlichten, abgeschabten Stiefeln und dem blauen Mantel ganz anders als in der Stadt, wo er in modischer Kleidung auf seinem eleganten gelben Phaeton gesessen hatte. Sein Haar, in dessen dunklen Strähnen ein paar Tautropfen wie Diamanten funkelten, hatte er einfach zurückgebürstet. Eigenartigerweise schien er ebenso sehr hierher zu gehören wie auf einen festlichen Ball oder an eine griechische Küste. Dieser Mann fühlte sich offenbar überall wohl: beneidenswert.
    „Aus der Ferne sehen wir bestimmt wie eine Gruppe Wikinger aus“, sagte sie. „Krieger, die in der Morgendämmerung zu irgendeiner Schlacht aufbrechen.“
    Cameron lachte, und wie immer wirkte dieser warme, heitere Klang ansteckend auf sie. „Sie wissen also auch über die Wikinger Bescheid? Ich dachte, die Chases interessieren sich nur für das alte Griechenland. Demokratie, Philosophie, die Götter des Olymps.“
    „Genau wie die de Veres, oder?“
    „ Touché .“
    „Es stimmt schon, dass Griechenland in unserer Erziehung an erster Stelle stand. Aber wir haben auch viel über die Wikinger und die Gallier gelesen. Und einmal hatte wir eine Gouvernante, die uns Geschichten über Langboote und blutige Plünderungen erzählt hat. Das hat uns gefallen.“
    „Und was ist mit diesem Wikinger-Kindermädchen passiert?“
    „Sie musste gehen, und unsere Mutter hat eine neue Gouvernante eingestellt. Eine, die schicklichere Erzählungen im Repertoire hatte: über die bluttriefende Geschichte Griechenlands und Roms.“
    Cameron hielt ihr die Hand hin, um ihr über eine niedrige Mauer zu helfen, und ihre behandschuhten Finger blieben einen Augenblick länger miteinander in Berührung als nötig. Calliope erkannte sich selbst kaum wieder: Sie verspürte den Impuls, seine Hand zu umklammern und mit ihm über die Felder davonzulaufen.
    „Ich habe lange nicht mehr an ihre Geschichten gedacht“, sagte sie, während sie langsam hinter den anderen hergingen. „Dieser Ort macht sie wieder lebendig.“
    „Ja, es ist wirklich eigentümlich hier“, meinte er. „Geheimnisvoll.“
    „Glauben Sie, dass es hier Wikinger gab? Vielleicht haben sie da oben in der Ruine Thor oder Odin und Freia verehrt.“
    Cameron lachte. „Das war eine römische Festung, aber mehr weiß ich leider auch nicht. Die de Veres glauben – ganz wie die Chases –, dass seit rund zweitausend Jahren nichts wirklich Wichtiges mehr geschehen ist.“
    Emmeline, die mit Mr. Smithson die Spitze des kleinen Zuges bildete, drehte sich um und rief: „Nicht trödeln, da hinten! Wir sind fast da.“
    Calliope und Cameron beschleunigten ihre Schritte und gesellten sich zu den anderen, die am Eingang einer kleinen Felsenschlucht standen. Die Sonne vertrieb allmählich den Nebel, aber bis hier war sie noch nicht vorgedrungen. Hier herrschten noch die Schatten und jener seltsame alte Zauber, den Calliope sich nicht erklären konnte.
    Wieder griff er nach ihrer Hand, als sie über einen abschüssigen Pfad in das verwunschene Reich eindrangen. Die Sohlen ihrer Halbschuhe rutschten ein wenig über den Sand, aber sie vertraute darauf, dass er sie halten würde. Der sonst so gemächliche Fluss wurde plötzlich wild und weiß, wie von unsichtbarer Hand

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