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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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überflog die Liste noch einmal. „An der Universität haben Averton und seine schrecklichen Freunde sich Spitznamen gegeben. Ich glaube aber nicht, dass es diese waren.“
    „Aber es könnte eine Liste von Freunden sein? Eine Art Geheimgesellschaft?“
    „So wie Ihre Gesellschaft der kunstverständigen Damen?“, fragte er lächelnd.
    „Die ist wohl kaum geheim“, murrte sie. „Und wir denken uns auch keine albernen Spitznamen aus.“
    „Natürlich nicht. Es sind nur die anderen, die Sie die Chase-Musen nennen.“
    „Ich habe nicht darum gebeten, Calliope zu heißen. Elisabeth wäre mir lieber gewesen. Oder Jane.“
    „Tatsächlich? Sie kommen mir gar nicht wie eine Jane vor.“
    „Sie lenken vom Thema ab. Was ist das für eine Liste? Ein Verbrecherring?“
    Sein Lächeln verblasste. „Es wäre Averton zuzutrauen, wenn er sich langweilt oder ein bestimmtes Ziel vor Augen hat. Aber ich wüsste nicht, was das sein könnte. Heutzutage schmuggelt man keinen französischen Wein oder Seidenstoff mehr – auch wenn er von hier aus praktischerweise Zugang zu den alten Tunneln in Robin Hood’s Bay hat.“ Cameron sah zum Fenster hinaus, also würde auch er in der Ferne das unheimliche Kastell sehen. „Ich muss noch eine Weile darüber nachdenken, und Sie sollten ins Gesellschaftszimmer zurückkehren. Darf ich die Liste behalten?“
    „Gern; ich habe mir die Namen eingeprägt. Aber kommen Sie nicht mit?“
    „Später.“ Lächelnd drückte er ihre Hand. „Was würden die Leute denken, wenn wir gemeinsam auftauchen würden?“
    Calliope lachte. Der Skandal wäre perfekt, und sie würden sich verloben müssen. Wie furchtbar.
    Tatsächlich?
    Calliope schlug die Augen auf. Statt in ihrem bequemen Baldachinbett lag sie auf kaltem Stein. Langsam setzte sie sich auf; sie fühlte sich wie in Wat te gepackt. Sie befand sich in einer Grotte, aus deren Wänden unbehauene messerspitze Steine ragten. Nur von oben drang ein wenig blasses, wabern des gelbgrünes Licht herein, und sie vernahm ein gedämpftes Rauschen.
    Oh, dachte sie, ich bin hinter dem Wasserfall. Und ich träume das alles nur.
    Aber warum führte ihr Traum sie an diesen Ort, den sie nie betreten hatte? An dem es zog und dumpfig roch?
    Calliope stand auf. Sie trug nur ihr Nachthemd und Pantoffeln, kalt war ihr jedoch nicht. Jetzt, da sie sich in einem Traum wusste, erwachte ihre Neugier. Sie lief in einen langen, schmalen und niedrigen Gang hi nein. Der Boden war glitschig, und seltsamerweise standen an den Wän den Objekte, die sie an Acropolis House erinnerten: Daphne, die ägypti sche Löwin, Pan mit seiner Flöte. Die Marmoraugen der Statuen warfen ihr vorwurfsvolle Blicke zu. ‚Warum hast du uns nicht gerettet?‘ schienen sie zu sagen.
    Calliope lief schneller den Gang hinab, um diesen unheimlichen Bli cken zu entkommen. Auf einmal stürzte sie ins Nichts, in eine tiefe Spalte. Zu entsetzt, um aufzuschreien, hielt sie sich die Hände vor die Augen und wartete auf den Aufprall.
    Doch sie zerschellte nicht, sondern landete auf etwas Weichem und War mem, das sich wie ein Federbett anfühlte. Vorsichtig ließ sie die Arme sin ken und sah sich um.
    Sie lag auf dem Sarkophag. Vor ihr stand die Alabastergöttin, den Bo gen im grünlichen Licht erhoben. Auch sie hatte lebendige Augen, aber in ihnen stand Mitleid, kein Vorwurf. Das war seltsam, denn Artemis war nicht für ihre Fürsorglichkeit bekannt. Ohne Skrupel verwandelte sie Männer in Hirsche und spickte sie mit Pfeilen, wenn sie ihr missfielen. Doch im Traum war eben alles möglich, eine freundliche Artemis ebenso wie eine Grotte voller Antiquitäten.
    „Was mache ich hier?“, fragte Calliope.
    „Ich habe dich herbefohlen“, erwiderte Artemis, ohne die Marmorlippen zu bewegen. Ihre Stimme klang jung und sehr selbstbewusst. Sie hatte Ähn lichkeit mit Clio.
    „Warum?“ Calliope ließ die Beine über den Sarkophagrand baumeln.
    „Deine Gefährtinnen und du, ihr habt mir treu gedient. Ich muss euch warnen: Eure Mission birgt viele Gefahren.“
    Calliope dachte an den Duke, der blutend am Boden lag, an Clios zer rissenes Kostüm, an Camerons Kuss. „Wir haben schon so manche Gefahr überstanden.“
    Wieder ein mitleidiger Blick. „Keine wie die, die vor euch liegen. Ich habe viele geheime Gegner. Bleib stark. Bleib meiner Sache treu, dann wird alles gut ausgehen. Denk daran, wenn die Feinde sich schließlich offenbaren und alles in einem neuen Licht erscheint.“
    Bevor Calliope antworten konnte,

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