Betörend wie der Duft der Lilien
Abenteurerin. Und es war Cameron, der ihr dieses Gefühl ermöglichte: Er war ein freier Mensch, und in seiner Nähe konnte sie das auch sein.
„Woran denken Sie?“ Mit dem Daumen wischte er ihr einen Krümel vom Kinn.
Calliope erbebte unter seiner Berührung. „Ich freue mich nur an diesem rundum schönen Tag.“
Er lächelte ihr zu und beugte sich ein wenig näher. In seinen dunklen Augen las sie den Wunsch, sie zu küssen, und obwohl die anderen ganz in der Nähe waren, hatte sie dagegen durchaus nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil, noch nie hatte sie etwas so sehr gewollt.
Aber bevor ihre Lippen sich berühren konnten, erstarrte er und warf einen düsteren Blick über ihre Schulter. Bitter enttäuscht sah sie sich um.
Oberhalb ihres geschützten kleinen Tals tänzelte schnaubend ein großes schwarzes Pferd, und darauf saß der Duke of Averton. Mit seinem langen Umhang, dem offenen hellen Haar und dem finsteren Blick, mit dem er auf die Picknickgesellschaft herabsah, kam er Calliope wie ein unglücklicher Gott vor. Wie Hades vielleicht, der eine heitere Sommergesellschaft sprengt, um die unschuldige Persephone zu rauben.
Panisch drehte Calliope sich um. Clio untersuchte mit Thalia lachend ein paar Wasserpflanzen und hatte den düsteren Duke offenbar noch nicht entdeckt. Seit Tagen lachte sie zum ersten Mal. Warum musste Averton ausgerechnet jetzt auftauchen?
Neben ihr stand Cameron auf; von seiner heiteren Gelassenheit war nichts mehr zu spüren. Vorsichtshalber klappte Calliope den Picknickkorb mit den Käsemessern zu. Doch zum Glück riss der Duke sein Pferd herum und galoppierte davon.
Erleichtert sank Calliope auf die Decke zurück. Cameron blieb jedoch stehen und wirkte immer noch kampfbereit wie ein griechischer Krieger.
„So kann das nicht weitergehen“, murmelte er. „So nicht.“ Clio hatte den Duke sehr wohl gesehen. Wie auch nicht? Dieser Mann verfolgte sie schließlich wie ein schwarzes Gespenst. Sie hatte sich jedoch nichts anmerken lassen, sondern einfach weitergeplaudert.
Warum quälte er sie so? Warum tauchte er immer wieder in ihrer Nähe auf, beobachtete sie, brachte sich in Erinnerung? Im Grunde kannte sie die Antwort, und sie hatte nicht vor, klein beizugeben.
Nicht lange, und das eisige Gefühl in ihrem Nacken wich wieder der Sonnenwärme: ein klares Zeichen, dass er verschwunden war. Sie stand auf und streckte sich. Er würde sich nicht immer so schnell zurückziehen, das war klar. Und sie konnte sich nicht immer auf Artemis verlassen. Sie musste vorsichtiger werden, viel vorsichtiger als bisher.
Nicht nur wegen des Dukes. Sie spürte, dass auch Calliopes Blick auf ihr ruhte – wie so oft seit dem Maskenball. Ihre Schwester bedrängte sie nicht, denn sie wusste, dass sie ohnehin nichts preisgeben würde. Aber sie beobachtete sie. Womöglich auch letzte Nacht?
Clio seufzte. Wie schrecklich, ausgerechnet ihre Schwester hintergehen zu müssen! Trotz deren Neigung, immer alles im Griff behalten und es allen recht machen zu wollen, liebte Clio sie inniglich. Aber es musste sein; sie durfte ihre Familie nicht in diese Sache hineinziehen.
Sie hatte ihren Weg bewusst gewählt, mit alle seinen Risiken – anders als ihre Schwestern. Genau genommen war Calliope sogar eines dieser Risiken.
Aber die größte Gefahr war der Duke of Averton. Er war wie eine Hydra; schnitt man einen Kopf ab, wuchs prompt ein neuer nach.
Clio winkte Calliope zu und lächelte strahlend. Heute musste sie keine Köpfe abschlagen: Die Sonne schien zu warm, die Luft roch zu gut. Ein Tag voller Frieden und Harmonie, die sie nicht zerstören wollte.
18. KAPITEL
Der Versammlungssaal des Dorfes war nicht Almack’s, da hatte Lady Kenleigh schon recht gehabt. Andererseits hatte Calliope Almack’s noch nie viel abgewinnen können: belanglose Musik, miserable Getränke und geistlose Plaudereien, und das Ganze in ein Korsett aus albernen Clubregeln gepresst.
Das Gebäude war das größte im Dorf, lang, niedrig und aus dem hiesigen grauen Stein gebaut. Durch die hohen Fenster drangen einladendes Licht, Gelächter und die heiteren Töne eines schottischen Volkstanzes nach draußen, als sie aus der Kutsche stiegen.
„Wenigstens wird uns hier kein Duke über den Weg laufen“, flüsterte Clio, als sie Arm in Arm mit Calliope die flachen Stufen hinaufging. „Er hat zwar die unangenehme Angewohnheit, einem überall aufzulauern, aber er wird sich wohl kaum dazu herablassen, mit den Dörflern zu verkehren.“ Sie
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