Betörend wie der Duft der Lilien
reichte ihr Umhängetuch einer Bediensteten, ordnete ihr hochgekämmtes Haar und strich die Röcke ihres apfelgrünen Kleids glatt.
Calliope ordnete ihr hellblau-weißes besticktes Musselinkleid und hoffte innig, dass ihre Schwester recht hatte. Zwar würde sein Auftauchen hier tatsächlich einigen Wirbel verursachen, aber Aufmerksamkeit hatte Averton noch nie abgeschreckt.
Und Clios geheimnisvoller nächtlicher Besucher: War er wohl hier?
An einer Seite des Hauptraums gab es ein Podium für die Musiker, die nach Thalias Worten über mehr Enthusiasmus als Talent verfügten. Zahlreiche Tänzer wirbelten herum und klopften mit den Schuhen den Rhythmus des lebhaften Reels auf den abgewetzten Holzboden. Auf langen Tischen war ein Buffet mit herzhaften Sandwiches und Pasteten und riesigen Punschschalen aufgebaut: Was für ein Unterschied zu Almack’s!
Während sie sich durch die Menge schoben, musterte Calliope die Gäste. Ein paar der Männer waren groß gewachsen, aber keiner so groß wie Clios Besucher. Neben zahlreichen rotgesichtigen Gutsherren waren auch ein älterer Vikar und ein blutjunger Kurat zugegen.
Keiner von ihnen wirkte, als schliche er um Mitternacht mit Hut und Umhang durch fremde Gärten, und Clio begegnete ihnen allen mit derselben distanzierten Höflichkeit.
Seufzend setzte sich Calliope auf einen Stuhl an der Fensterfront. Sie war wirklich nicht zur Detektivin geboren: Irgendetwas ging hier vor sich, aber sie bekam es einfach nicht zu packen.
„So ernst heute Abend, Miss Chase?“ Cameron nahm neben ihr Platz. „Tanzen Sie etwa nicht gern?“
Dankbar für die Ablenkung lächelte Calliope ihn an. „Selbstverständlich tanze ich gern.“
„Ach, jetzt erinnere ich mich: Beim Maskenball war Athene kaum zu bremsen.“
„Und ihr Tanz mit Hermes war der einzige Lichtblick an diesem unseligen Abend.“
„Wenn das so ist: Darf ich bitten?“
„Später gerne. Wie wäre es vorerst mit einem kleinen Spaziergang? Einmal durch den Saal?“
„Ihr Wunsch ist mir Befehl.“
Langsam schlenderten sie durch den Raum, nach links und rechts grüßend. Cameron flüsterte ihr zu: „Ich glaube, ich habe etwas herausgefunden. Können wir uns später treffen? Vielleicht im Garten, an der versenkten Mauer?“
Calliopes Herz schlug vor Aufregung schneller, und einen Augenblick ängstigte sie sich regelrecht: nicht vor ihm, sondern vor ihren eigenen Gefühlen. Ein wenig sehnte sie sich nach ihrer alten, fest gefügten Welt zurück – aber ihr neues Ich, das für Wasserfälle und griechische Banditen schwärmte, war stärker.
Sie fand nur noch Zeit zu nicken; dann belegten Lady Kenleigh und Emmeline, ihr Vater und Lady Rushworth sie beide mit Beschlag. Cameron erbot sich, Punsch zu holen, und verschwand im Gedränge.
Calliope knabberte an einem Sandwich, ergötzte sich an der Musik, dem Geplauder und den Farben und freute sich auf ihr mitternächtliches Stelldichein. Sie war schon fast so abenteuerlustig wie die jungen Damen in Lottys Büchern!
Lady Kenleigh erzählte gerade, wie Emmeline als Kind zum großen Verdruss des Gärtners tiefe Löcher in den Rasen zu buddeln pflegte, um „Antiquitäten auszugraben“, als die Türen des Saals aufflogen, wie von unsichtbarer Hand aufgestoßen. Alle drehten sich um; sogar die Musiker gerieten kurz aus dem Takt.
„Der Duke of Averton!“, murmelte Calliopes Vater. „Was treibt der bloß auf einem Dorfball?“
Lady Rushworth beäugte den Neuankömmling durch ihre Lorgnette. „Wenigstens ist er dezent gekleidet – für seine Verhältnisse. Er ist doch sonst so ein Pfau.“
„Angeblich verlässt er hier ja kaum sein Schloss“, meinte Emmeline.
„Und doch beehrt er uns Bauern mit seiner Gegenwart“, murmelte Clio. „Sollen wir uns verneigen? Zu dumm, dass ich meine Schleppe und meinen Federhut nicht dabeihabe.“
Auch die übrigen Gäste waren verunsichert. Zwar bildete sich keine Gasse – dafür war die Menge mittlerweile zu dicht –, und die Musik verstummte auch nicht; das wäre zu theatralisch gewesen. Doch die Gespräche wurden leiser, und der Mittelpunkt des Interesses hatte sich in Richtung Tür verschoben.
Calliope trat neben Clio. Der Duke war tatsächlich recht zurückhaltend gekleidet: kein satingefütterter Umhang, keine reich bestickte Weste, kein Leopardenfell und kein Chiton. In seinem feinen schwarzen Rock und dem gestärkten weißen Krawattentuch, das eine antike Kameenbrosche zierte, wirkte er sogar ein wenig puritanisch. Sein
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