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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Molo zu gehen, eventuell bis in das Fischrestaurant auf dem Molo, das ich von früher her sehr gut kenne und wo ich immer am besten gegessen habe, so war ich dann doch über die Lonja hinausgegangen bis auf die sogenannte Borne , die zu Francos Lebzeiten, also vomSieg der Faschisten bis zu deren Sturz nur als Paseo del Generalisimo bezeichnet wurde und setzte mich, weil es so warm war, aber doch auf die unvorsichtigste Weise, wie ich mir sagen mußte, auf die den Cañellas gegenüberliegende Kaffeehausterrasse, wo ich mir jahrelang, ja schon beinahe jahrzehntelang, mein Buffet zusammengestellt habe, tatsächlich immer das gleiche aus Schinken und Käse und Oliven und einem Glas Wasser bestehend und dachte, in einem jener uralten weißgestrichenen Korbsessel sitzend, während ich einen großen Espresso trank und die Sonne durch die leider noch kahlen Platanen glitzerte, mit geschlossenen Augen aufeinmal über den Namen derjenigen jungen Frau aus München nach, die ich bei meinem letzten Palmaaufenthalt hier auf der Borne angesprochen habe und die mir dann, nachdem ich sie eingeladen hatte, mit mir einen Kaffee auf eben dieser Terrasse, auf welcher ich jetzt mit geschlossenen Augen im Korbsessel saß, ihre furchtbare Geschichte erzählte. Anna Härdtl , hieß die junge Frau. Und nicht ich habe sie auf der Borne angesprochen, sondern umgekehrt, sie mich. Wie auch immer. Ich war mit einer von den Cañellastöchtern, die ich aus Wien kenne, wo sie Musik studiert hat (Klavier bei dem berühmten Wührer), und die gegenüber dem Kaffeehaus eine Parfümerie betreiben, aus einem mir nicht mehr gegenwärtigen Anlaß lachend unter der Platanenallee gegangen und hatte den Namen Anna ausgerufen, dieses von mir plötzlich laut ausgerufene Anna hatte sich auf ein Mädchen bezogen, das uns durch einen Besuch in Andraitx bekannt geworden war, auf einem der vielen Nachmittagsausflüge, die ich in den letzten Jahren mit den Cañellastöchtern gemacht habe und an den wir uns immer gern erinnerten. Als ich das Anna ausgerufen hatte, ich weiß heute nicht mehr, warum so laut, ruiso! , und aus diesem Grunde weithin hörbar, drehte sich eine vor uns gehende junge Frau urplötzlich um und sagte: Ja? Und dann, in der größten Verlegenheit: ich heiße Anna . Sie hatte sich spontan umgedreht, weil sie glaubte, angerufen zu sein.Der plötzliche Anblick der jungen Frau hatte meine und die Stimmung meiner Begleiterin vollkommen geändert. Ich war von dem Anblick der jungen Frau entsetzt gewesen. Offensichtlich trug sie Trauerkleidung und machte einen verstörten und armseligen Eindruck. Es ist nicht meine Art, mit einem fremden Menschen von einem Augenblick auf den andern ein Gespräch anzufangen, dazu fehlen mir alle Voraussetzungen, aber als ich das Gesicht der jungen Frau gesehen hatte, hatte ich augenblicklich und tatsächlich nur aus einem augenblicklichen Gefühl nicht des Mitleids, sondern der unmittelbaren Betroffenheit über ein solches verzweifeltes Gesicht, zu der jungen Frau gesagt, ob sie sich nicht mit uns, also der Cañellastochter und mir, auf die Terrasse setzen wolle auf einen Kaffee; kaum hatte ich die Einladung ausgesprochen gehabt, beschuldigte ich mich, denn ich hatte diese Einladung in einem möglicherweise die junge Frau sogar verletzenden, nicht sie beschützenden Ton gesagt und es tat mir schon leid, die Einladung überhaupt ausgesprochen zu haben, aber ich konnte sie und was ich gesagt hatte, im Augenblick ja nicht mehr rückgängig machen und so wiederholte ich meine Einladung jetzt in einem anderen, wie mir zuerst schien, angemesseneren Ton, der aber auch völlig mißglückt gewesen war, wie ich dann wieder dachte. Zu meiner Überraschung willigte die junge Frau, die sich als Anna Härdtl vorgestellt hatte, sofort ein. Es sei ihr angenehm, nach Tagen wieder einmal mit Menschen zu sprechen, sagte sie und alles, das sie daraufhin sagte, war so gesprochen wie von einem in sich vollkommen verstörten und zerstörten Menschen, sie wohne in Santa Ponsa, hatte sie gesagt, dann etwas von einem Todesfall, dann etwas von einem geschlossenen Konsulat, dann etwas von einem teueren Mittagessen, von einem kalten Zimmer, es hörte sich, noch während wir auf das Kaffeehaus zugingen, alles an, wie von einem Menschen gesprochen, der nahe dem Wahnsinnigwerden ist. Kaum saßen wir zu dritt auf der Terrasse, war ich mir erst dieserganzen zuhöchst peinlichen Situation bewußt geworden und ich wußte überhaupt nicht mehr, wie ich jetzt

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