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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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ziemlich fehlerhafte Vorstellung von England und London, hatte ich alle Auslandsmöglichkeiten aufgegeben und mich ganz auf die mir verbliebenen inländischen konzentriert, aber diese Möglichkeiten zwischen Wien auf der einen, und Innsbruck auf der anderen Seite, waren völlig unakzeptabel gewesen. Da ich auch nicht die Rolle des verkommenen Studenten hatte spielen wollen, zu welcher es gerade solche Leute wie ich, mit einer Herkunft wie ich, nicht selten treibt, entschied ich mich für die meiner Meinung nach beste Möglichkeit, nämlich überhaupt nicht zu studieren, jedenfalls nicht an einer öffentlichen Schule und ich glaubte, stark und charaktervoll genug zu sein, um mich auf diese Weise in einer sogenannten geistigen Spur entwickeln zu können. Dazu hatte ich aufeinmal auch eingesehen, daß mich außer Musik nichts auf der Welt in einem höheren Grade fesselte und daß deshalb alles außerhalb der Musik, für mich Unsinn ist. So erklären sich meine Wiener Jahre.Und was die Musik betrifft, so war ich von dem Augenblick an, in welchem ich sie für mich entdeckt hatte, der Aufnahmefähigste. Einmal hätte ich, durch die Bekanntschaft eines mit meinem Vater befreundeten Redakteurs, in die Redaktion der Presse eintreten können, aber mein doch recht guter Instinkt bewahrte mich vor einer solchen Perversität. Ich suchte, während ich mit meiner Schwester zusammen auf dem sogenannten Stubenring wohnte, tagtäglich alle möglichen Bibliotheken auf und traf mich mit den für meine Studienzwecke nützlichen und also entsprechend musikalisch gebildeten Leuten, die sich mehr oder weniger bald von selbst gefunden hatten, weil sie nach und nach meinen Forschungen unentbehrlich geworden waren. Auf diese Weise lernte ich nicht nur die wichtigsten musiktheoretischen Bücher und Schriften, sondern auch eine Reihe derer kennen, die diese Bücher und Schriften verfaßt hatten und ich zog den größten Gewinn daraus. Nebenbei befaßte ich mich mit den künstlerischen Produktionen der Wiener im Allgemeinen und war beinahe jeden Tag im Konzert oder in der Oper. Bald hatte ich einen so hohen Grad der musikalischen Selbständigkeit erreicht, daß ich zuerst meine Opernbesuche, dann auch meine Konzertbesuche einschränken konnte, mir waren auf den Programmen auch immer zu viele Wiederholungen des Immergleichen, das war ja immer schon das Charakteristische an Wien, daß es dem nach dem Neuen und dadurch tatsächlich Interessanten Begierigen, sehr bald nichts mehr zu bieten hatte. Es spielten auch nicht, wie früher, tagtäglich aus aller Welt die verschiedensten, sondern immer die gleichen Orchester in meiner Wiener Zeit und so gut sie im Grunde waren und sind, ich hatte und habe doch immer den Eindruck, dieselben Orchester spielten immer das gleiche, wenn sie auch immer etwas anderes spielten und spielen. Aber ein Mensch, der sich für die Musik entschieden hat, hat naturgemäß auch heute noch seinen Platz in Wien. Nur ist die Atmosphäre dieser Stadt auf längere Zeit überhaupt nichtauszuhalten, ganz abgesehen davon, daß mir die Ärzte schon sehr früh klar gemacht hatten, daß für mich Wien das schädlichste Klima überhaupt sei. Ich habe, alles in allem, über zwanzig Jahre in Wien zugebracht, genaugenommen, nur mit der Musik zusammen. Plötzlich hatte ich genug und kehrte nach Peiskam zurück. Natürlich führte dieser Schritt in die Sackgasse, für welche auch diese Notizen ein Zeugnis sind. Hatte es in Peiskam, wo ich um zwei Uhr mittag abgeholt worden bin, noch elf Grad minus gehabt, so zeigte bei meiner Ankunft in Palma, wo ich diese Notizen aufschreibe, das Thermometer schon achtzehn Grad plus. Aber mein Zustand hatte sich naturgemäß durch diese Tatsache nicht gebessert, im Gegenteil. Ich hatte Angst, die erste Nacht im Hotel nicht zu überleben. Der mit dieser Krankheit Vertraute, weiß, wovon ich spreche. Ich tat gut daran, den ganzen meiner Ankunft folgenden Tag bei geschlossenen Vorhängen im Bett zu bleiben. An ein Auspacken der Koffer war nicht zu denken gewesen. Naturgemäß wußte ich schon vorher, was ein solcher abrupter Klimawechsel bedeutet, aber einen solchen erbarmungswürdigen Zustand hatte ich nicht erwartet. Ich beschränkte mich darauf, tatsächlich den ganzen Tag im Bett zu bleiben und zweimal ein Glas Wasser auszutrinken, aber auch das nur, weil ich meine Tabletten einzunehmen hatte. Wahrscheinlich hatte man an der Rezeption gleich gesehen, wie schlecht es mir geht und keinerlei Umstände gemacht

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