Beton
reagieren sollte, nachdem mich die kleine Cañellas auch gänzlich im Stich gelassen hatte, sie begriff nichts von dem gerade Vorgefallenen und schaute nur teilnahmslos durchs Fenster auf die Straße, was ich nicht verstanden habe, denn es war zu sehen, was für ein Mensch jetzt mit uns am Tisch saß, daß es sich um den verzweifeltsten handelte, den man sich vorstellen kann. Der jungen Cañellas, die es, wie überhaupt alle Spanierinnen, nicht gewohnt war, aufeinmal mit einem fremden Menschen an einem Tisch zu sitzen, war die ganze Situation peinlich gewesen. Und ich schämte mich, ohne ein Wort sagen zu können, nach Wörtern suchend, aber nicht ein einziges findend, und machte mir den Vorwurf, möglicherweise jetzt auf geradezu brutale Art einen Menschen zu etwas zu zwingen, das er gar nicht will, die junge Frau will vielleicht weder mit mir, noch mit der Cañellas, die sie nichts angehen konnte, an einem Tisch sitzen, um Kaffee zu trinken, nur weil ich sie in einem, wenn schon nicht rüden, aber doch gar nicht feinfühligen Ton mehr oder weniger vor die Tatsache gestellt hatte durch meine Einladung, mit uns auf der Terrasse Kaffee zu trinken, ich schämte mich und war nicht imstande, ein Gespräch anzufangen, ein einziges Wort herauszubringen, geschweige denn auf irgendetwas, das die junge Frau in ihrer höchsten Verzweiflung und Verwirrung vorher gesagt hatte, einzugehen. Genauso sitzt ein Mensch da, den ich dazu gezwungen habe, dachte ich. Die junge Cañellas muß es aber in der gleichen Art und Weise empfunden haben, denn sie hatte eine zeitlang keinen einzigen Blick für mich übrig gehabt. Aber mit dem Gedanken an meine Scham hatte ich keine Chance, aus dieser von mir heraufbeschworenen Situation herauszukommen. Plötzlich fragte ich die junge Frau vor lauter Nervosität um ihren Namen, obwohl sie mir ihren Namen ja schon gleich, nachdem ich sie auf den Kaffee eingeladen hatte, gesagt hatte. Aber sie wiederholte bereitwillig: Anna Härdtl . Ich war derganzen Situation nicht gewachsen. So schwiegen wir alle drei und jeder wußte insgeheim, warum und die ganze Peinlichkeit dieser Konstellation war nicht zu übersehen gewesen. Plötzlich hörten wir von der Anna Härdtl folgendes: Ende August sei sie mit ihrem Mann und einem dreijährigen Sohn, weil sie, nach Eröffnung eines Elektrogeschäftes in Trudering, einem östlichen Vorort von München, beide, wie auch das Kind, völlig erschöpft gewesen seien, vor allem wegen der unaufhörlichen sie peinigenden Widerwärtigkeiten der Behörden, die ihnen bei dieser Geschäftseröffnung keine Ruhe gelassen hätten, nach Santa Ponsa gekommen, auf zwei Wochen. Ich könne mir gar nicht vorstellen, hatte sie gesagt, was alles sie in diesem Jahr vor und bis zur Geschäftseröffnung habe durchmachen müssen, es sei das Furchtbarste, sich selbständig machen zu wollen, das Unmöglichste, heute viel viel schlimmer als jemals vorher. Und ihr Mann, das hatte sie gleich von allem Anfang an gesagt, sei der Schwierigste gewesen. Nachdem sie gewesen gesagt hatte, wußte ich aufeinmal, daß sie um ihren Mann trauerte, ich hatte das bis jetzt noch nicht begriffen. Ihr Mann sei erst dreiundzwanzig Jahre alt gewesen, sagte sie, stammte aus Nürnberg, aus einer armen Familie, während sie aus einer, so sie selbst, wohlhabenderen aus der Nähe von Rosenheim gebürtig sei. Ihr Mann habe eine Ingenieursschule in Nürnberg besucht und diese Ingenieursschule auch zum Abschluß gebracht, obwohl sie sich schon gekannt hatten und es dadurch für ihn das Schwierigste gewesen sei, diese Schule weiterzumachen, aber es war ihm schließlich gelungen, denn wenn er die Ingenieursschule aufgehört hätte, wären von ihrem Vater sofort die monatlichen Zahlungen an ihn, die geringsten natürlich, wie sie sagte, eingestellt worden, aber ihr Mann habe alle seine Kräfte zusammengenommen und die Ingenieursschule tatsächlich um ein halbes Jahr früher abschließen können, mit außerordentlichem Erfolg , wie sie sagte, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Ihr zuliebe habe er schließlichdas Truderinger Geschäft angefangen, was ihre Idee gewesen sei, denn sie hatte Angst davor, ihr Mann verkomme in einem Büro, daß es auch für die gerade gegründete Familie besser sei, ein eigenes Geschäft zu betreiben, als in ein Büro zu gehen, vor allem habe sie das Wort Selbständigkeit wie kein zweites fasziniert, aber sie sei dem Wort auf den Leim gegangen. Ihr Mann habe es nicht als Degradierung empfunden,
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